Anja Dayioglu ist die Verzweiflung anzumerken, als sie in einem Café in Fröndenberg ihr Handy durchsucht. Was sie dann zeigt, wirkt schier unglaublich: Man sieht auf einem wackeligen Video jemanden, der mit bloßen Händen im Schotter gräbt und einen Hund nach dem nächsten aus der Erde holt. Viele sind tot, einer zuckt, ebenfalls mehr tot als lebendig. Es ist auch lautes Rufen in türkischer Sprache zu hören.
„Das geschieht dort jeden Tag“, sagt die Tierschützerin, die merklich um Fassung ringt. Sie hat im Jahr 2020 den ersten Hund aus der Türkei zu sich nach Fröndenberg geholt. Seitdem engagiert sie sich auch in der Tierschutzorganisation Melek, die sich in der Türkei für Straßenhunde engagiert. Die Eskalation der Gewalt gegen Straßenhunde, die gegenwärtig in der Türkei stattfindet, geht dabei auf ein neues Gesetz zurück.
Ende Juli 2024 wurde das Gesetz verabschiedet, das Kommunen verpflichtet, streunende Hunde einzufangen und sie in Tierheimen unterzubringen. Dort sollen sie geimpft, kastriert oder sterilisiert und dann zur Adoption freigegeben werden. Nur Hunde die Schmerzen haben, unheilbar krank sind oder als Gesundheitsrisiko für Menschen eingestuft werden, sollen eingeschläfert werden.
Was auf dem Papier gut klingt, habe aber den Haken, dass die Kommunen nicht in der Lage oder Willens seien, die Mittel zur Unterbringung, Behandlung oder Kastration aufzubringen. Stattdessen werde über das breite Netzwerk der deutsch-türkischen Tierfreunde eine Schreckensmeldung nach der nächsten geteilt. „Die vielen Vereine werben ja um Spenden und sind so eigentlich in Konkurrenz zueinander“, so Dayioglu.

Doch die Flut an schockierenden Meldungen lasse alle eng zusammenrücken. So schildert sie den Fall einer alten Dame, die sich in der Türkei um viele Straßenhunde kümmerte. Plötzlich seien Hundefänger aufgetaucht, die ihr ihre Tiere trotz Protest und Wehklagen weggenommen hätten. Mit der Hilfe vieler Unterstützer gelang es ihr jedoch, die Tiere zurückzubekommen.
Daraufhin hätten Brandstifter nachts ihr Haus angesteckt. Dabei seien nicht nur die Hunde, sondern auch sie selbst ums Leben gekommen. Dayioglu hält das für glaubwürdig.

Dayioglu kennt die Türkei. Nachdem sie und ihr Mann geheiratet haben, bestand ihr Schwiegervater darauf, dass sie das Land kennenlernen sollte. „So ging es über Küsten und Berge ins Landesinnere und zurück“, erinnert sich die Tierschützerin. Es gebe moderne, erschlossene, prosperierende Regionen. Doch da wo die Menschen arm seien, stehe auch der Tierschutz nicht hoch im Kurs. Nun arbeiten alle, auch ihr Verein Melek auf Hochtouren, um möglichst viele Tiere zu retten: Von Januar bis März 2025 habe der Verein bereits 127 Hunde aus schlimmen Verhältnissen gerettet und vermittelt.
„Dafür suchen wir gerade noch dringend Pflegestellen“, erklärt Dayioglu. Unter anderem erzählt sie von einem vier Monate alten Malinois-Rüden, der unterernährt, voller Schädlinge und verprügelt gefunden wurde. Die Tierschützer von Melek retteten den jungen Hund und päppeln ihn nun in der Türkei auf – bis der Vierbeiner sieben Monate alt ist und nach Deutschland ausreisen darf.

Da kommt der neueste Aspekt auf, den die Tierschützer beklagen: Den Vereinen wird inzwischen auch die Ausführung der Hunde aus der Türkei erschwert. Das liege an dem Gerücht, die Vereine wollten sich bereichern, indem sie die Hunde hierzulande als Versuchstiere an Labore verkauften. „Das alles ist ein riesiger Alptraum und wir verstehen nicht, warum aus anderen Ländern kein Aufschrei erfolgt“, so Dayioglu.
Straßenhunde in der Türkei
In der Türkei sollen, nach vorsichtigen Schätzungen, rund vier Millionen Straßenhunde leben. Der Verein, bei dem sich Anja Dayioglu engagiert ist Melek e.V. Dieser Verein organisiert Kastrationen, medizinische Behandlungen und Impfungen für Straßenhunde und vermittelt herrenlose Tiere nach Deutschland. Die Internetseite lautet www.melek-ev.de.