Fröndenberger Arzt versteht die Welt nicht mehr Kampf um Approbation für syrischen Kollegen

Arzt kämpft für einen jungen syrischen Kollegen
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Dr. Wolf-Gerhard Kramme hat als Mediziner eine eindrucksvolle Karriere hinter sich: Als Chefarzt im Marienkrankenhaus Werl wie als ärztlicher Leiter im neu gegründeten MVZ Warstein hat er sich einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Auch jetzt, mit 75 Jahren, ist der Fröndenberger immer noch im Rahmen von kassenärztlichen Notdiensten aktiv. Er weiß, wie gefragt gute Ärzte sind und umso weniger versteht er, wie mit Hussam Al Khatib umgegangen wird.

Der heute 26-jährige Syrer war noch als Kind mit seiner Familie vor dem Assad-Regime nach Katar geflüchtet. Nach dem Schulabschluss wollte er unbedingt Medizin studieren und fand in der Ukraine eine Möglichkeit: Er durchlief das gesamte Studium in Dnipro, der viertgrößten Stadt des Landes mit rund einer Million Einwohnern.

Schließlich legte Al Khatib seine letzten Prüfungen unmittelbar vor dem russischen Angriffskrieg auf seine inzwischen dritte Heimat erfolgreich ab. Kurz darauf ging er wie viele andere Kriegsflüchtlinge nach Deutschland. „Ich hörte von vielen Ukrainern, dass Deutschland ein sehr geeignetes Land sei“, so Al Khatib. Schnell lernte er die deutsche Sprache und legte Deutsch-Prüfungen bis zu den höchsten Anforderungs-Stufen erfolgreich ab.

Auch Fach-Sprachkurse für Mediziner meisterte er anschließend. Als er schließlich Dr. Kramme kennenlernte, wollte dieser gleich helfen: Er fragte beim Marienkrankenhaus Werl nach, ob Al Khatib dort nicht zumindest ein Praktikum machen könne. „Die Kollegen waren sofort ganz aufgeschlossen“, so Kramme. Man wollte zuvor nur noch eine Stelle bei der Bezirksregierung Münster ansprechen, die für die Approbation von Ärzten zuständig sei.

Kampf um einen Studienplatz in Deutschland

Schnell setzte Ernüchterung ein: Die Ausbildung der Mediziner in der Ukraine sei anders, daher solle Al Khatib noch ein Studienjahr in Deutschland absolvieren. „Das konnte ich kaum glauben, denn einen Studienplatz für Medizin zu bekommen, ist doch schlicht aussichtslos. Dabei ist das Studiensystem in der Ukraine nur anders im Ablauf“, so Dr. Kramme.

In den ersten drei Jahren wird die Ausbildung dort rein universitär durchgeführt, anschließend beginnt eine Art duales Studium mit Stationen in verschiedenen Fachkliniken und begleitenden Vorlesungen. Dieses Prinzip sei laut dem Fröndenberger durchaus bewährt.

Den Kampf um einen Studienplatz in Deutschland kennt Dr. Kramme wiederum gut, denn seine eigene Enkelin will unbedingt Ärztin werden. „Sie hat einen Abiturschnitt von 1,3 und bekommt damit keinen Studienplatz.“ Inzwischen habe sie, um ihre Chancen zu verbessern, noch eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten absolviert und mit Note 1,0 abgeschlossen. Dadurch sei sie zwar einige Plätze in der Warteliste heraufgeklettert, aber immer noch meilenweit vom Studium entfernt.

„Angesichts der großen Zahl an Ärzten, die in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen, ist dieses Verhalten absolut unverständlich“, so Dr. Kramme. Das gelte sowohl gegenüber seiner Enkelin als auch gegenüber Al Khatib. „Inzwischen wissen die jungen Leute, wie viel ein Medizinstudium im Ausland kostet: In Wien 25.000 Euro pro Jahr, in Lettland 15.000 Euro pro Jahr.“

Trotz des hohen Bedarfs würde man hierzulande aber einfach nicht genug ausbilden. Nun hat auch Al Khatib eine Lösung im Ausland ins Auge gefasst: In Österreich gibt es für ausländische Ärzte spezielle Tests, die bei Bestehen gleich eine Approbation für ganz Europa ergeben. Die erste Stufe, die Kontrolle aller Studiennachweise, hat er bereits erfolgreich durchlaufen.

„Hier sollte ich noch teure Übersetzungen anfertigen lassen“, sagt Al Khatib. In Österreich wurden seine in Ukrainisch und in Englisch ausgestellten Zeugnisse hingegen gleich akzeptiert. Nun folgt ein weiterer Deutschtest und ein Fachtest in Medizin, der aus 2.500 Fragen zusammengestellt wird. „Dafür lerne ich nun täglich vier Stunden“, so Al Khatib. Er sei aber zuversichtlich, diese Herausforderung auch zu meistern.

Mehrsprachigkeit ein Vorteil

Das sieht auch Dr. Kramme so, denn er nimmt Al Khatib immer wieder bei seinen kassenärztlichen Notdiensten in Soest als Helfer mit: Neben der hohen fachlichen Kompetenz sei besonders die Mehrsprachigkeit des jungen Kollegen ein riesiger Vorteil. „Wenn wir da auf Migranten treffen, dann ist das Gold wert“, so Dr. Kramme.

So habe er einmal einen Geflüchteten behandelt: Gliederschmerzen, Fieber und eine starke Bronchitis quälten den Mann, der einen Dolmetscher hatte. Der wiederum sei ein syrischer Facharzt für Anästhesie gewesen. „Der sprach auch sehr gut Deutsch und seine erste Frage lautete, wie er ins deutsche System komme, um wieder zu arbeiten.“

Hussam Al Khatib und Dr. Wolf-Gerhard Kramme
Angesichts der deutschen Bürokratie verzweifeln Hussam Al Khatib und Dr. Wolf-Gerhard Kramme. © Peter Körtling

Im weiteren Gespräch habe sich herausgestellt, dass der Patient und sein Dolmetscher mit fünf Mitbewohnern in einem Raum leben. Viele seien starke Raucher, stets herrsche Lärm, Radios spielten ständig in verschiedenen Sprachen. Da sei es weder erstaunlich, dass der Patient nicht gesund werde, noch, dass einige Menschen frustriert „falsch abbiegen“ würden.

Dafür, dass Menschen auch ohne ein herausragendes Abitur gute Ärzte sein können, spielt Dr. Krammes eigenes Beispiel: „Ich hatte im Abitur nur eine 3,9.“ Damals gab es aber noch die Möglichkeit, nach einem naturwissenschaftlichen Studium in Köln eine Übernahmeprüfung abzulegen. „Von 150 Teilnehmern wurden 90 ins Medizinstudium übernommen“, so Dr. Kramme. Auch andere Mitschüler ohne Spitzenabitur seien sehr gute Ärzte geworden: „Einer machte sein Studium über die Bundeswehr, ein anderer hatte die Möglichkeit, in Belgien das Studium zu beginnen“, so der frühere Chefarzt.

Für Al Khatib komme der Staat nun seit drei Jahren auf, verweigere ihm aber eine Möglichkeit, an die Approbation und damit auch in Arbeit zu kommen. „Da darf man, angesichts des Ärztemangels und der Verschwendung an Steuergeld, gar nicht drüber nachdenken“, so Dr. Kramme. Jetzt hoffen beide, dass Österreich dem jungen Mediziner die Türen öffnet, die ihm hier verschlossen sind.