Einst war ihr Haus eine reine Maschine, die Huckarde vor dem Wasser schützte. Peter und Sigrid Strege lieben die Herausforderungen, die das Leben in einem alten Pumpwerk mit sich bringt.

Dortmund

, 14.12.2019, 17:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Peter und Sigrid Strege leben in einem Haus, dessen Boden mit ihnen spricht. Der sie jederzeit wissen lässt, wenn im Haus etwas nicht stimmt.

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Denn unter der Wohnküche des Ehepaars liegen riesige, stillgelegte Pumpen. Über fünfzig Jahre lang bewahrten sie Huckarde vor Überschwemmungen, sie pumpten das Wasser ab, wenn die Emscher mal wieder über die Ufer trat.

Früher rettete ihr Haus Huckarde vor Überschwemmungen

Das Ehepaar wohnt im alten Emscherpumpwerk in Huckarde, einem alten Industriedenkmal im Schatten der Kokerei Hansa. 1926 wurde es hier gebaut, um den Bergbausenkungen in der Gegend, in denen sich immer wieder Emscherwasser sammelte, etwas entgegenzusetzen. Anfang der 80er Jahre wurde das Werk geschlossen, die Arbeit übernimmt seitdem ein Pumpwerk in Deusen.

Ein Industriedenkmal, das auf den ersten Blick eher aussieht wie eine hübsche Villa. Mit seinem runden Schiffbodendach und der grün umrankten Backsteinfassade erinnert wenig an den ehemaligen industriellen Zweck des Gebäudes.

Erst auf den zweiten Blick offenbart sich die bewegte Vergangenheit des Hauses. Eine riesige Kranbahn mit handbetriebenem Kettenzug hängt über dem Küchentisch. Ein mannshoher Motor, der einst die Pumpen betrieb, steht in einer Ecke. Ein Schrank mit altem Zähler dient als Raumtrenner.

Hier wurden früher Millionen Liter von Emscherwasser abgepumpt: das Ehepaar Strege mit Hund „Bärchen“ in ihrer Wohnküche. Der handbetriebene Kettenzug könnte auch heute noch bis zu fünf Tonnen heben.

Hier wurden früher Millionen Liter von Emscherwasser abgepumpt: das Ehepaar Strege mit Hund „Bärchen“ in ihrer Wohnküche. Der handbetriebene Kettenzug könnte auch heute noch bis zu fünf Tonnen heben. © Stephan Schütze

Doch die alte Technik ist empfindlich. Ohne ihren Stammklempner, der die Pumpen im Keller in- und auswendig kennt, wären die zwei aufgeschmissen. Zweimal musste in den letzten Jahren die Feuerwehr kommen, um das Wasser im vollgelaufenen Keller abzupumpen.

Verkaufspreis: 1 D-Mark

Für eine einzige D-Mark kaufte Peter Strege 1983 das Emscherpumpwerk in Huckarde. Die benachbarte Kokerei Hansa war damals noch in Betrieb, doch die Emschergenossenschaft brauchte das Pumpwerk nicht mehr – und fand in Künstler Strege einen freudigen Abnehmer.

Im selben Jahr wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt. Ein Schild an der Straße erzählt von den Besonderheiten des Werks, von dem ungewöhnlichen Stil, in dem es gebaut wurde: Die Architektur vereine Neoklassizismus, Jugendstil und Expressionismus. Das Pumpwerk ist Teil der Route der Industriekultur.

Peter Strege wohnt und arbeitet in dem alten Pumpwerk – sein Atelier liegt direkt neben der Küche.

Peter Strege wohnt und arbeitet in dem alten Pumpwerk – sein Atelier liegt direkt neben der Küche. © Stephan Schütze

Peter Strege war damals eigentlich nur auf der Suche nach einem Atelier. Doch in dem alten Pumpwerk gab es noch eine Wohnung. Unterm Dach wohnte jahrelang der Pumpenwärter. Dort zog Strege ein. Rund 300.000 Mark steckte er in den Jahren danach in das Haus – 300.000 Mark und jede Menge Muskelkraft.

Die Wände sind natürlich gewachsen

Um 2000 herum verließ er die Wohnung des Pumpenwärters und zog in den alten Maschinenraum. Ein Raum, der eigentlich niemals bewohnt werden sollte, der anfangs kaum zu heizen war. „Um in diesem Ding zu wohnen, brauchte es gehöriges Engagement“, sagt Strege.

Hier standen früher die Gehäuse der Pumpe – damit man sie anheben konnte, war der Raum mehrere Meter hoch gebaut worden. In einem riesigen Kraftakt, unter Einsatz der Kranbahn, schaffte er die Hauben raus.

Mittlerweile gibt es eine offene Galerie, auch eine Wand hat der Hausherr auf dieser zweiten Ebene eingezogen. Doch die anderen Räume – Küche, Schlafzimmer, Atelier – sind natürlich gewachsen, immer so, wie es gerade nötig war. Möbel und Trennwände unterteilen die Bereiche. „Es gab keinen Plan“, sagt Strege. Wohnen und Schlafen, Arbeit und Freizeit lassen sich in diesem Haus nicht trennen.

Halb Maschine, halb Gesamtkunstwerk – das ist das Haus von Peter Strege und seiner Frau Sigrid.

Halb Maschine, halb Gesamtkunstwerk – das ist das Haus von Peter Strege und seiner Frau Sigrid. © Stephan Schütze

Das Haus von Sigrid und Peter Strege atmet. Manchmal etwas schwerfällig, manchmal scheint es unter seiner jahrzehntelangen Pumparbeit genauso zu ächzen wie unter den fast 4000 Büchern und den schier unendlichen Kunstwerken und Sammlerstücken, die das Ehepaar besitzt. Aber es scheint doch ständig in Bewegung.

Serie

So wohnt Dortmund

In unserer Serie So wohnt Dortmund stellen wir Dortmunder vor, die in ganz besonderen Häusern und Wohnungen leben. Die erste Folge über Bert Bielefeld und Isabella Skiba, die in einem Haus auf einem Bunker leben, finden Sie hier.

Jesus und das Hochspannungs-Schild

Im Haus der Streges trifft Kunst auf Maschine, Spontaneität auf die jahrzehntealten, immer gleichen technischen Vorgänge, die durch die kleinste Ungereimtheit aus dem Takt geworfen werden können.

Wie zwei Zahnräder greifen die Kunst und die Technik auf diesem Grundstück ineinander, sie treiben einander an, bewegen sich aber doch in unterschiedliche Richtungen. Über einem Schild, das vor Hochspannung und Lebensgefahr warnt, hängt ein gekreuzigter Jesus. Mit geschlossenen Augen senkt er den Kopf in Richtung des Schildes. Der Sohn Gottes hat kapituliert vor der Kraft und der Geschichte dieses Hauses.

An vielen Stellen im Haus warnen alte Schilder noch vor Hochspannung. Bisher musste aber nur Jesus darunter leiden.

An vielen Stellen im Haus warnen alte Schilder noch vor Hochspannung. Bisher musste aber nur Jesus darunter leiden. © Stephan Schütze

Peter Strege ist nicht nur Maler, er hat auch schon als Regisseur, Autor und Fotograf gearbeitet. Kunst, das heißt für ihn, so sagt er, „im Moment des Verwunderns etwas Neues zu erleben“.

Manchmal heiße es aber auch einfach, ein Kunstwerk, ein Sammlerstück anzuschauen und zu überlegen: An welcher Stelle könnte es witzig aussehen? Wie die großen Engelsflügel, die ein Freund dem Ehepaar schenkte. Lange schmückten sie eine Skulptur auf der Galerie, wo sie schnell einstaubten, nun hängen sie im Garten, dem Rost ausgesetzt. Doch das ist okay. „Staub bedeutet Tod. Aber Rost –Rost bedeutet Leben“, sinniert Strege.

Ein großzügiges Gelände gehört zu dem Emscherpumpwerk. Über 70 Bäume hat Strege hier in den letzten Jahren gepflanzt.

Ein großzügiges Gelände gehört zu dem Emscherpumpwerk. Über 70 Bäume hat Strege hier in den letzten Jahren gepflanzt. © Stephan Schütze

Auf die Frage, wie er an sein Haus und ans Wohnen herangeht, antwortet Peter Strege mit einem Gedankenexperiment: „Mal angenommen, ich hätte 10 Millionen Euro und könnte mir alle Wünsche erfüllen“, sagt er. „Das Leben in diesem Haus wäre für mich nicht reizvoller oder leichter.“ Der Reiz liegt für ihn daran, aus dem, was er hat, das Beste zu machen.

Es ist das Improvisieren, das Ausprobieren und das Unerwartete, das ihn fordert. „Es braucht einen Anstoß“, sagt er. Ein Problem, eine Herausforderung, die als Startpunkt für etwas Neues dient.

Und Herausforderungen gibt es in diesem wundersamen Haus zur Genüge.