Mitten im Hoeschpark liegt eine von Dortmunds Disko-Adressen. Das Versteck und später das Royal Bambi machten aus einem ehemaligen Sportlerheim einen angesagten Club für Techno und House.
Zwischen Borsigplatz und Westfalenhütte liegt der Hoeschpark, die grüne Lunge der Nordstadt. Ein Ort, an dem schon früher die Hoeschianer Sport getrieben haben, heute sind hier unter anderem die Baseballer und Footballer dieser Stadt zu Hause. Wie so viele Orte hier ist auch dieser untrennbar mit Borussia Dortmund verbunden. Denn dort wo heute der Park ist, war früher die Weiße Wiese, der erste Sportplatz des BVB.
Seit Mitte der 2000er-Jahre ist der Hoeschpark aber auch ein fester Bestandteil des Dortmunder Nachtlebens. Wer vom Haupteingang an der Kirchderner Straße ein paar Meter den Hauptweg entlang geht, stößt auf der linken Seite auf ein flaches, lang gezogenes und ansonsten nicht besonders auffälliges Gebäude.
Zwölf Jahre ist es her, dass hier die erste Disko eingezogen ist. Das Versteck. Ein Club, der damals so neu wie ungewöhnlich war – und dem Techno in Dortmund ein neues Zuhause gab. Ihm folgte das Royal Bambi, das nicht weniger Fußstapfen hinterließ als sein Vorgänger. Und auch wenn die beiden Diskos die gleiche musikalische Richtung hatten, waren sie doch sehr unterschiedlich.
Ursprünglich war dieses Gebäude der Treffpunkt für die Sportler im Hoeschpark. Auch der Vorstand von Hoesch traf sich hier das ein oder andere Mal. Von 1964 bis 1992 betrieb die Familie Lang das Sportheim als Treff.
Hendrik Berndsen kann sich noch sehr gut daran erinnern. Der Dortmunder ist im Hoeschpark geboren und aufgewachsen, sein Vater war viele Jahre Leiter des Parks. Unter der Führung der Familie Lang sei das Sportlerheim eine klassische Gastronomie gewesen. Zudem gab’s einen großen Saal für Veranstaltungen und unten im Keller zwei Kegelbahnen und einen Schießstand. Deshalb habe der Hoeschvorstand das Lokal auch sehr gerne genutzt, für Tagungen, Gremien und Feiern. „Ich habe meinen Polterabend in dem Saal gefeiert“, sagt Berndsen. Denn mieten konnte man ihn auch. Im Sommer gab’s draußen Kaffee und Kuchen. Und oben, im ersten Stock, wohnte die Familie Lang.
So sieht das als Sportlerheim gebaute Gebäude im Hoeschpark von außen aus. © RN-Archiv
Nachdem die Familie Lang ihren Sportlertreff aufgegeben hatte, stand das Gebäude zunächst einige Jahre leer. 2004 kam ein neuer Pächter und mit ihm die ersten Vorboten für die langen Nächte mit elektronischer Musik. In der Hoeschbar gab es zwar vor allem Konzerte – Punk und Reggae – aber zwischendurch legten auch schon DJs auf.
Und dann kamen Mirko Müller und Jessie Müller, damals noch Lehnert. Und spielten Versteck.
In Dortmund gab es damals die Partyreihe „Cache Cache Club“, die Mirko Müller gemeinsam mit Freunden einige Jahre lang veranstaltet hatte. Es war eine Art Versteckspiel: Die Partys liefen an geheimen Orten, von denen die Gäste kurz vorher per Flüsterpropaganda erfuhren. Eintritt bekamen sie nur, wenn sie das richtige Passwort kannten. Mirko und Jessie Müller gaben diesem Versteckspiel dann Ende 2006 ein festes Zuhause.
Für einen Ort, der sich Versteck nannte (offiziell geschrieben ohne Vokale: Vrstck), war das ehemalige Sportlerheim im Hoeschpark perfekt. Es war unauffällig, abgeschieden, fast im Wald, es gab so gut wie keine Nachbarn und es war klein, eng und düster.
Mirko und Jessie Müller machten aus dem Sportlertreff eine Disko. Sie bauten die Kegelbahn zur Tanzfläche um, installierten DJ-Pult und Theken. Sie ließen Graffiti an die Wände malen und statteten ihren Club mithilfe von Freunden mit kuriosen Fundstücken aus. So gab es zum Beispiel eine Vitrine mit allerlei Krams und Spielzeug, alles Flohmarkt-Funde, die speziell für das Versteck ausgesucht wurden.
Die Einrichtung im Versteck war minimalistisch. Es gab aber kleine Spielereien, wie diese Vitrinen mit Spielzeug vom Flohmarkt. © Jack Kulcke
Alles war selbstgemacht, mit „Blut, Schweiß und viel Liebe“, sagt Jessie Müller. Das Logo des Clubs war ein kleines Mädchen, das sich den Arm vor die Augen hält, so, als würde sie darauf warten, dass alle anderen sich verstecken.
Ansonsten verzichteten die beiden Betreiber allerdings auf großen Schnickschnack. Leuchtgirlanden tauchten den Boden der Tanzfläche in ein tiefes Rot, von den Wänden flackerte dezentes Neonlicht, viel mehr gab‘s nicht. Jessie und Mirko Müller ging es um Musik, um eine Fläche für die Spielarten von Kunst und Kultur. Der Club sei rau und rotzig gewesen, sagen die beiden.
Und wie schon beim Versteckspiel ihrer Partyreihe verzichteten die beiden auch in ihrem Club auf große Öffentlichkeit oder Werbung. Es gab keine Presse, kein Social Media. „Und niemals durften Fotos im Club gemacht werden“, sagt Jessie Müller.
Die Nordstadt hatte plötzlich einen Szeneclub, der so auch in Berlin hätte stehen können. „Es war eine musikalische Weiterentwicklung, das erste Mal, dass überhaupt so etwas funktioniert hat“, sagt der Dortmunder DJ Ante Perry, der dort regelmäßig auflegte. Die Gäste seien aus ganz Deutschland gekommen. „Es war immer irgendwie was los. Es ging richtig zur Sache“, sagt Ante Perry.
Das Logo des Verstecks war ein kleines Mädchen, das sich die Augen zuhält. © Jack Kulcke
Didi Stahlschmidt, der in Dortmunds Nachtleben seit vielen Jahren unterwegs ist, sagt: „Das Versteck war einer der angesagtesten Clubs in NRW.“ Weil er anders war, weil er neu war. Diese subtile Kommunikation habe die Leute neugierig gemacht. Zudem seien hier extrem angesagte Underground-DJs zu Gast gewesen. „Es war diese berlineske Art, der Minimalismus, der das Versteck ausgemacht hat“, sagt Ante Perry. „Musikalisch hat es sich abgehoben, von allem, was es damals in Dortmund gab.“
Im Keller, dort wo einst gekegelt wurde, dröhnten jetzt jedes Wochenende wummernde Techno-Beats aus den Boxen. Gefeiert wurde noch, wenn andere längst wieder am Frühstückstisch saßen. Manchmal sogar noch den ganzen Tag, bis es erst hell und dann wieder dunkel und dann wieder hell wurde. „Manchmal wurde bis montags gezaubert“, sagt Ante Perry.
Martin Suchla war damals Stammgast im Versteck. „Es war für mich wie ein Wohnzimmer“, sagt er. „Die Leute, der Charme, das Dunkle, die Musik“. Legendär, sagt er, sei 2008 die Aftershow-Party nach der Loveparade auf der B1 gewesen. Moby, der weltberühmte DJ Moby, habe damals im Versteck aufgelegt. „Er wollte unbedingt in einem kleinen Underground-Club spielen“, erinnert sich Suchla. Er wählte den Club im Hoeschpark. Suchla kann sich noch erinnern, wie Moby plötzlich „November Rain“ von den Guns’n’Roses auflegte und der ganze Club ausgerastet sei.
Als Stammgast erfuhr Martin Suchla auch schnell, dass die Versteck-Betreiber den Club aufgeben wollten. Sie hätten, sagen Mirko und Jessie Müller, dieses gemeinsame Projekt gelebt und geliebt. Aber aufhören sollte man, wenn es am schönsten ist. Im Februar 2009 lief die letzte Versteck-Party.
Und irgendwie, sagt Martin Suchla, sei die Idee aufgekommen, dass er doch gemeinsam mit seinem Kumpel Jens Rompusch den Laden fortführen könnte. „Ich war damals 25“, sagt Suchla, lacht und hebt die Schultern, so, als sollte das eine Entschuldigung sein. Er und Jens Rompusch waren Neulinge in der Club-Szene, aber sie hatten Bock drauf, ihr eigenes Ding zu machen. Gesagt, getan.
Am 1. April 2009 eröffnete das Royal Bambi. „Der Laden war eigentlich das Gegenteil von royal“, sagt Martin Suchla heute. Aber sie hätten den Namen damals gut gefunden, weil er auf das königliche Line-Up ihres Clubs, also die DJs, die dort auflegten, habe anspielen sollen.
So sah der „Glitzerwald“ aus, die Tanzfläche im oberen Bereich des Royal Bambi. © Royal Bambi
Vorher hatten die beiden neuen Betreiber eine ganze Stange Geld in die Renovierung des Clubs gesteckt. Sie krempelten den Laden komplett um, gaben ihm ein neues Design. Es war nicht länger dunkel und minimalistisch, sondern opulent, pompös, glitzernd. Kronleuchter hingen an den Decken, Stuck-Tapeten an den Wänden, der Eingangsbereich bekam zudem Lounge-Atmosphäre. Im „Glitzerwald“ standen echte Baumstämme, darüber baumelten Dutzende Discokugeln. Die Toiletten hatten rosa und babyblaue Klobrillen.
Das war oben. Unten aber, im Keller, da hätten sie zwar auch versucht das Beste rauszuholen, aber da sei eben nicht allzu viel zu machen gewesen. „Der alte Kegelbahnboden war zugesifft, übersät mit Kaugummis und es roch nach abgestandenem Bier. Lüften konnte man nicht“, erzählt Martin Suchla. „Aber das war der Charme des Bambi. Wir haben immer gesagt: Oben schön, unten Techno.“ Und draußen, im Garten, fast im Wald, gab es quasi die dritte Tanzfläche.
Der untere Bereich im Royal Bambi war nicht so schön, sagt Martin Suchla. Aber die Partys, die hier liefen, dafür umso besser. © Royal Bambi
Nicht allen Gästen gefiel die neue, helle Einrichtung, sagt Martin Suchla. „Vielen Leuten war es zu hell, die wollten es wieder dunkel haben.“ Also hätten sie mit der Zeit viele der neu installierten Lampen wieder abgeklebt oder abmontiert. „Die, die Techno hören wollten, denen reichten auch ein paar Kerzen“, sagt Suchla. Im Nachhinein, sagt er, hätten sie sich das viele Geld für die Renovierung sparen können.
Der Start des Royal Bambi sei sehr gut gewesen, doch dann ging es bergab. Die ehemaligen Versteck-Gäste seien woanders hingegangen, der Club habe monatelang vor sich hingedümpelt. „Wir hatten Partys mit 30, 40 Leuten“, sagt Martin Suchla. „Und dann kam Ante Perry.“
Der Dortmunder DJ wollte gerne eine Partyreihe im Royal Bambi starten, weil er den Laden so mochte. Martin Suchla und Jens Rompusch sagten nicht Nein. Zur Premiere der neuen Reihe „Flashing Disco Sounds“ lud Ante Perry das Hamburger DJ-Duo Moonbootica ein, 1500 Leute kamen, um dabei zu sein. „Der Club war voll, der Garten war voll“, sagt Martin Suchla. Er erzählt es so, als wäre es erst gestern gewesen.
Zwar hätten sie zwischendurch auch mal Hip-Hop-Partys ausprobiert, „da hat aber oft die Luft gebrannt“, eigentlich war das Royal Bambi aber genau wie das Versteck ein Club für elektronische Musik, nur nicht ganz so undergroundig, ganz so speziell wie beim Vorgänger. Wer Techno, Deephouse, House und Minimal mochte, war hier an der richtigen Stelle.
Der Blick vom DJ-Pult. © Royal Bambi
Etliche bekannte DJs schauten im Hoeschpark vorbei, unter anderem Solomun, André Galluzzi, Martin Eyerer und Tobias Lützenkirchen. Letzterer hatte 2008 mit dem Song „Drei Tage wach“ einen Mega-Hit. „Für mich ist Lützenkirchen eine Legende“, sagt Martin Suchla. „Der konnte einfach richtig gut Techno spielen.“
Über die Zeit seien sie zu einer großen Familie zusammengewachsen. Das sagen auch Didi Stahlschmidt, der im Royal Bambi nach eigener Aussage „das Mädchen für alles war.“
Das Royal Bambi hatte sogar Fankleidung: Die Kappen gab es in verschiedenen Farben. © Royal Bambi
Irgendwann hätten sie angefangen, Kappen und T-Shirts mit dem Logo des Royal Bambi zu produzieren, mit denen sich die Gäste gerne eindeckten. „Die Club hatte wirklich Kult-Status“, sagt Stahlschmidt. „Die Leute haben mit dem Bambi einfach mehr verbunden als Musik und Disko.“ Das bestätigt auch Pascal Kutz, der regelmäßig im Royal Bambi feiern war. Es sei für ihn jedes Mal ein Highlight gewesen, der Club mit seinem Keller, die Einrichtung, das alle sei besonders gewesen. Vor allem aber sagt er: „Das Familiäre war das, was dem Bambi seine Aura gegeben hat.“
Viereinhalb Jahre führten Martin Suchla und Jens Rompusch das Royal Bambi, dann war die Luft raus. „Clubbesitzer wird man aus Leidenschaft“, sagt Martin Suchla. Es sei zwar eine schöne, aber auch sehr anstrengende Zeit gewesen. „Irgendwann war ich satt, ich hatte den Elan verloren.“ Die beiden entschlossen, den Club zu schließen. Zur Abschlussparty legte noch einmal Lützenkirchen auf. „Das war das Geilste, was ich an DJs erlebt habe“, sagt Martin Suchla heute. Er hat sich aus der Clubszene komplett zurückgezogen.
Hören Sie in den Soundtrack des Royal Bambi hinein
Als das Royal Bambi im August 2013 Lebewohl sagte, folgte der Mad Club. Der Laden wurde wieder komplett umgekrempelt, umgebaut und neu eingerichtet, musikalisch blieb’s aber bei Techno und House. Das änderte sich auch nicht, als nur zwei Jahre später die Do-Bo-Villa übernahm, die es bis heute gibt. Wie lange noch, das ist im Moment aber nicht ganz sicher, denn das Gebäude soll womöglich wieder in die Hände der Sportler im Park übergehen.
Der Techno ist aber ohnehin längst ein Teil der Geschichte des Hoeschparks geworden. Wer ganz langsam an diesem Sportlerheim vorbei geht und die Ohren spitzt, der wird es aus dem Keller hören, dieses „Nz, nz, nz, nz, nz“, das der von unzähligen langen Nächten versiffte Kegelbahnboden für immer aufgesaugt hat.
Liebt geschriebene Worte, wollte deshalb nie etwas anderes als Journalistin werden. 1989 geboren im Schwarzwald, aufgewachsen im Sauerland, heute in Dortmund zu Hause. Erzählt seit 2013 die Geschichten dieser Stadt, ihrer Menschen und ihres schwarzgelben Fußballklubs.