Der Fall von „Mr. Cash Money“ aus Dortmund machte Anfang des vergangenen Jahres bundesweit Schlagzeilen. Der Deutsch-Nigerianer Jonathan A. soll die Vaterschaft für 24 Kinder verschiedenster Frauen größtenteils aus Afrika anerkannt haben, zeigten damals Recherchen des ARD-Magazins Kontraste.
Mit dieser Masche seien allein über Jonathan A. rund 94 Menschen nach Deutschland gekommen. Für sie zahlte der Staat jährlich circa 1,5 Millionen Euro an Sozialleistungen, die offensichtlich auch in die Tasche von Jonathan A. flossen. Dazu zählen zum Beispiel Kindergeld und Wohngeld.
Es ist eine besonders herausragender Fall von Kindergeldbetrug. Doch die Behörden sind immer wieder damit und mit anderen Arten des Sozialleistungsbetrugs konfrontiert. Oftmals hapert es dabei an der Kommunikation zwischen den zuständigen Stellen und der Weitergabe relevanter Informationen.
Dortmund setzt LKA-Projekt um
Das Landeskriminalamt NRW (LKA) hat deshalb das Projekt „Missimo“ entwickelt, das nun auch in Dortmund umgesetzt wird. Ziel von „Missimo“ ist es, die Informationsweitergabe zwischen Ämtern zu verbessern und Hinweise auf Betrug an die zuständigen Stellen zu melden.
Die Stadt Dortmund bestätigt auf Anfrage die Umsetzung des Projekts. Ansonsten hält sie sich aber bedeckt und macht keine konkreten Angaben zu durchgeführten und geplanten Maßnahmen, wohl auch, um deren Umsetzung nicht zu gefährden.
Behörden sehen, dass viele Betrugsfälle auch auf die EU-Osterweiterung und dem Zuzug aus ärmeren Ländern wie Bulgarien und Rumänien zurückzuführen sind. Auch nach Dortmund waren seit 2007 viele Menschen aus diesen Ländern gekommen.
Missbrauch fällt an Schulen auf
Laut dem Magazin Focus gab es 2024 rund 140.000 Verdachtsfälle von Kindergeld-Missbrauch. Den finanziellen Schaden habe die Bundesagentur für Arbeit aber nicht beziffern können.
Oftmals fällt an Schulen mit als Erstes auf, wenn Kinder nicht mehr vor Ort wohnen, weil sie nicht mehr in die Klasse kommen. „In der Regel geben die Schulen auch dem Schulamt Bescheid, wenn ein Kind nicht mehr kommt. Und das Schulamt müsste es eben an die Familienkasse weitergeben“, sagte Sebastian Goebels, Projektleiter von „Missimo“ beim LKA im Interview mit der WAZ.
Schnittstellen funktionieren nicht
Das Wort „müsste“ ist dabei entscheidend. Denn zu häufig passiert das nicht. Sozialleistungen und Kindergeld werden so teilweise unrechtmäßig weitergezahlt, weil Menschen zwar an einer Adresse in einer Kommune gemeldet sind, aber gar nicht dort wohnen. Bei „Missimo“ bringt das LKA diese Ämter und Institutionen an einen Tisch, um für die Weitergabe zu sensibilisieren und zu erklären, auf welcher Rechtsgrundlage man Informationen weitergeben darf und muss.
Oftmals wird von Ämtern der Datenschutz als Grund genannt, um Erkenntnisse nicht zu übermitteln. Auch Missimo-Projektleiter Goebels werde mit diesen Bedenken immer wieder konfrontiert, sagte er der WAZ. In der Regel könne man sie ausräumen. Die Ämter müssten „sogar alle Informationen melden, die auf Steuerdelikte hindeuten“. Im Fall von Kindergeld ist die Familienkasse zuständig.
Dafür reiche ein Anfangsverdacht. Etwa, wenn das Jugendamt durch versäumte U-Untersuchungen oder das Gesundheitsamt durch versäumte Schuleingangsuntersuchungen Hinweise darauf erlangt, dass eine Familie nicht mehr am gemeldeten Wohnort lebt.
Datenschutz wird vorgeschoben
Auch im Fall „Mr Cash Money“, der etwas anders gelagert ist, hatte das Jugendamt auf angebliche datenschutzrechtliche Bedenken verwiesen bei der Begründung, warum der Fall nicht aufgefallen sei. Experten hielten das auch in diesem Fall für vorgeschoben. Hinter vorgehaltener Hand hört man den Vorwurf, dass der Datenschutz auch gerne als Ausrede angeführt wird, um bislang nicht tätig werden zu müssen und sich Arbeit zu ersparen.
Auf Anfrage teilt das LKA mit, dass ihm von der Familienkasse im Januar 2024 mitgeteilt worden, dass circa 50 Prozent der „Missimo“-Verdachtsfälle zu Zahlungseinstellungen und zum Teil auch zu Rückforderungen geführt haben.
Ausgetestet worden war das Projekt „Missimo“ in Leverkusen und Wuppertal. Die Stadt Wuppertal ist von ihm offensichtlich so überzeugt, dass sie das Projekt im März ein drittes Mal durchführte. In einer ersten Bilanz heißt es, dass 58 Objekte durch die Polizei kontrolliert worden seien. In 20 Fällen bestehe ein Anfangsverdacht auf Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Kindergeld. 29 Familien stehen Maßnahmen zur Bekämpfung von Schulpflichtverletzungen bevor.
Im Januar 2024 hatte das Landeskriminalamt NRW die Oberbürgermeister und Landräte sowie Polizeipräsidenten aus NRW zu einer Vorstellung des Modellprojektes eingeladen und die Erfolge der vorherigen „Missimo“-Projekte in Wuppertal vorgestellt. Bis zur Umsetzung in Dortmund dauerte es daraufhin noch.
Polizei kontrolliert mit
Mittlerweile sind aber auch hier Objekte kontrolliert worden. Die Polizei Dortmund bestätigt, dass Polizeibeamte im Rahmen der Amtshilfe im Einsatz gewesen seien. Ansonsten verweist die Behörde auf die Zuständigkeit der Stadt Dortmund in der Sache. Je nach Deliktsbereich wird die Polizei auch Ermittlungen übernehmen, falls im Zuge der Maßnahmen weitere Straftaten festgestellt werden.
Welche Feststellungen bislang gemacht worden sind, beantwortet die Stadt auf Anfrage nicht. Zu den Ergebnissen und Erfahrungen werde erst nach Abschluss des Projekts berichtet.
Die Stadt Dortmund sieht in dem Projekt aber den Vorteil, dass neben den gewonnenen Erkenntnissen zu Kindergeld- und Sozialleistungsbetrug auch „Probleme im sozialen oder integrativen Bereich festgestellt werden, für die die Stadt (präventive) Unterstützungsmaßnahmen entwickeln kann“. Konkret bedeutet das etwa, dass bei Vor-Ort-Kontrollen Kindeswohlgefährdungen auffallen können, bei denen dann das Jugendamt tätig werden kann.
Ziel von „Missimo“ ist es laut LKA, dass sich die Abläufe nach einer Begleitung und Umsetzung in der Projektphase verstetigen und die Informationsweitergabe zwischen Behörden von da an standardmäßig abläuft.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 16. April 2025.
Wie bei „Mr. Cash Money“: Jugendamts-Mitarbeiter besiegelt 16 Vaterschaften für anderen Mann