Kurt Blome war führender Nazi-Arzt Wie er in Dortmund als Mediziner nach dem Krieg wieder Fuß fasste

Kurt Blome war führender Nazi-Arzt: Wie er nach dem Krieg als Mediziner in Dortmund wieder Fuß fasste
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An der Bornstraße 64, direkt gegenüber vom Hannibal-Wohnkomplex, erinnert heute nichts mehr an die Facharzt-Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten, die es hier einst gab. Bis vor wenigen Jahren war im Erdgeschoss das Büro „Wilkommen Europa“ für Zuwanderer aus Südosteuropa untergebracht. Jetzt wird das Ladenlokal von einem Tatoostudio genutzt.

Bis vor genau 50 Jahren praktizierte hier im Obergeschoss Dr. Kurt Blome. Bis ins Alter von 75 Jahren war er als Facharzt aktiv. Und wohl keiner seiner Patienten und Nachbarn ahnte, dass der Mediziner eine dunkle Vergangenheit als einer der führenden Ärzte in der NS-Zeit hinter sich hat.

Autobiografie „Arzt im Kampf“

Der Titel seiner Autobiografie ist aufschlussreich: „Arzt im Kampf“ heißt das 1942 in hoher Auflage erschienene Werk, in dem Kurt Blome seine medizinische Bilderbuch-Karriere in der NS-Zeit aufarbeitet. Der Mediziner sah sich im Kampf für den Nationalsozialismus, der sein Leben über zwei Jahrzehnte prägte.

Die Spurensuche zu Kurt Blome führt durch ganz Deutschland und Teile von Polen – und immer wieder zurück nach Dortmund.

Geboren wird Friedrich Ludwig Kurt Blome, wie er mit vollem Namen heißt, am 31. Januar 1894 in Bielefeld. Doch nach kurzer Zwischenstation in Köln wächst Blome in Dortmund auf.

Im Adressbuch von 1912 ist die Senffabrik der Familie Blome verzeichnet.
Im Adressbuch von 1912 ist die Senffabrik der Familie Blome verzeichnet. © Stadtarchiv Dortmund

Sein Vater Adolf Blome, ein Kaufmann, betreibt an der Schubertstraße in der Nordstadt eine „Senf-, Essigsprit- und Speiseöl-Fabrik“. In der Schubertstraße 10 wohnt auch die Familie Blome, wie aus dem Dortmunder Adressbuch aus dem Jahre 1912 hervorgeht. In diesem Jahr macht Kurt auf dem Dortmunder Realgymnasium sein Abitur.

In diesem, inzwischen renovierten Haus an der Bornstraße 64 hatte Kurt Blome seine Facharzt-Praxis.
In diesem, inzwischen renovierten Haus an der Bornstraße 64 hatte Kurt Blome seine Facharzt-Praxis. © Oliver Volmerich

Gegen den Willen des Vaters entschließt sich der 18-Jährige, Medizin zu studieren. Denn ein Arzt, so beschreibt Blome später in seiner Autobiografie seine Motivation, sei ein „souveräner Herrscher“, der „als letzte Instanz über Leben und Tod jedes einzelnen“ bestimme. Es klingt wie eine Prophezeiung.

Blomes Studienjahre werden zu Wanderjahren, noch dazu unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg. Er beginnt das Studium in Göttingen, wechselt zum Wintersemester 1913/14 nach Rostock.

Hier meldet er sich schon im Frühjahr 1914 zum Militärdienst und zieht nach der Mobilmachung im August 1914 mit Begeisterung in den Krieg. Blome dient beim Infanterie-Regiment in Bremen, bringt es bis zum Leutnant und stellvertretenden Bataillonsführer. Das Kriegsende im November 1918 erlebt er mit einer Verwundung im Lazarett in Bremen.

Studentische Wanderschaft

Nach dem Krieg setzt Blome dann seine studentische Wanderschaft fort. Ab 1919 studiert er zunächst in Münster weiter Medizin, wechselt dann nach Gießen. Sein Staatsexamen macht er 1920 wiederum in Rostock, wo er ein Jahr später auch zum Dr. med. promoviert. Der Titel seiner Dissertation: „Über das Verhalten von Bacterien im electrischen Strom“.

Berufserfahrung sammelt er als Medizinalpraktikant in Münster und Gießen, arbeitet dann als Assistenzarzt und Oberarzt am Dermatologischen Institut der Universität Rostock.

Politisch ist Blome zu der Zeit schon aktiv. Die Richtung ist von Anfang an klar: rechtsnational. Gleich nach Kriegsende schließt er sich in Rostock einem Freikorps an, wird Mitglied in verschiedenen Organisationen, die die junge Weimarer Republik bekämpfen. Bis hin zur Organisation Consul, eine nationalistisch ausgerichtete und antisemitisch gesinnte Vereinigung, die auch vor terroristischen Aktionen nicht zurückschreckt. 1920 ist Blome am gescheiterten Kapp-Putsch beteiligt, bei dem er erneut verwundet wird.

Wegen NS-Aktivitäten entlassen

Nach der Niederschlagung des Putsches bleibt Kurt Blome, der auch Vorsitzender des Verbandes national gesinnter Studenten ist, der Rechtsaußen-Linie treu. 1922 tritt er erstmals der NSDAP bei, gehört später zu den Unterstützern des Putschversuchs Hitlers. Das hat Folgen: Im November 1923 wird er wegen seiner NS-Aktivitäten von der Universität Rostock entlassen.

Aufhalten kann ihn das nicht. Nach dem Verbot der NSDAP tritt Blome 1924 in die Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP) ein, die einen radikal rassistischen, antisemitischen und antikommunistischen Kurs propagiert, und ist Mitbegründer der Völkischen Arbeitsgemeinschaft Mecklenburg. Seine politischen Aktivitäten bringen Blome von 1924 bis 1926 sogar in den Landtag von Mecklenburg-Schwerin.

Beruflich fasst der junge Mediziner ebenfalls schnell wieder Fuß. Von 1924 bis 1934 führt er in Rostock eine eigene Praxis als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten – so wie nach dem Zweiten Weltkrieg in Dortmund.

Doch dazwischen liegt noch eine erstaunliche Karriere in der Zeit des Nationalsozialismus, in der Blome seine völkische Gesinnung ausleben kann.

1931 schließt sich der inzwischen 37-Jährige der neu organisierten NSDAP (Mitgliedsnummer 590233) und der SA an. Das ist Basis für eine Laufbahn mit vielen Ämtern und Funktionen.

Karriere in NS-Organisationen

Blome wird SA-Gausturmarzt, SA-Sanitäts-Oberführer, Gauobmann im Nationalsozialistischen Detuschen Ärzte-Bund (NSDÄB) , dem Blome seit 1932 angehört, und schließlich 1934 Gauamtsleiter des Amtes für Volksgesundheit des Gaus Mecklenburg-Lübeck der NSDAP.

Dort hält es ihn allerdings nur kurz. Reichsärzteführer Gerhard Wagner, mit dem er freundschaftlich verbunden ist, holt Blome noch im selben Jahr ins Hauptamt für Volksgesundheit nach Berlin. Der gibt dafür seine Rostocker Facharzt-Praxis auf.

Ein Jahr später ernennt Wagner Blome zum Beauftragten für Ärztliche Fortbildung. „Endlich freie Bahn für meinen Schaffensdrang“, jubelt Blome in seiner Autobiografie.

Als Leiter des ärztlichen Fortbildungswesens im Dritten Reich ist er auch Dozent an der Führerschule der Deutschen Ärzteschaft, wo ab 1935 „Pflichtfortbildungskurse“ für Mediziner stattfinden. Das Ziel der Schulungen formuliert Blome so: Es gehe darum, „das ärztliche Führungskorps auf gesundheitlich-, bevölkerungs- und rassenpolitischen Gebiet einheitlich auszurichten“.

Blome selbst referiert über Themen wie „Neue Deutsche Heilkunde“ und „Nürnberger Rassegesetze“. Nebenbei gehört er dem „Reichsausschuss zum Schutze des deutschen Blutes“ an, ist Verbindungsmann zur SA zum Deutschen Roten Kreuz (DRK) und zur Deutschen Arbeitsfront (DAF).

Einzug in den Reichstag

Blome sammelt Ämter wie andere Leute Briefmarken: 1939 wird er stellvertretender Leiter des NS-Ärztebundes, stellvertretender Leiter des Hauptamtes für Volksgesundheit, Reichshauptamtsleiter der NSDAP, stellvertretender Reichsärzteführer und ab dem dem 29. August 1939 Stellvertreter des Reichsgesundheitsführers. Im April desselben Jahres zieht er als Nachfolger des an Krebs gestorbenen Gerhard Wagner obendrein als Abgeordneter der NSDAP in den Reichstag ein.

Weitere Ämter folgen: 1940 wird Kurt Blome Spartenleiter für Erb- und Rassenpflege beim Reichsforschungsrat, ab 1942 auch für Krebsforschung. Im selben Jahr gründet Blome das „Zentralinstitut für Krebsforschung“, das ihm einen neuen Einsatzort abseits der Hauptstadt Berlin beschert. Das Forschungsinstitut wird in einem Kloster in Nesselstedt bei Posen eingerichtet – mit Hilfe von rund 400 polnischen Kriegsgefangenen unter Aufsicht der Gestapo.

Kloster wird zum Forschungsinstitut

Nach Zeugenberichten gibt es in dem umgewidmeten Kloster ein Labor und einen Trakt mit käfigartigen Zellen. Dort sollten mit Pest infizierte Häftlinge sitzen und beobachtet werden, heißt es. Auch neue bakteriologische Waffen sollten an Menschen getestet werden. Alles steht unter der Leitung von Blome, der mit seiner Familie einige hundert Meter vom Institut entfernt wohnt.

Das Problem ist: Es gibt keine klaren Aussagen darüber, was in Nesselstedt wirklich geschieht. Dr. Walter Paul Schreiber, Seuchenbevollmächtigter im Reichsforschungsrat und später einer der Hauptbelastungszeugen im Nürnberger Ärzteprozess, äußert später die Vermutung, dass in Nesselstedt Menschenversuche an russischen Kriegsgefangenen durchgeführt werden. Belege liefert er aber nicht.

Von Plänen für Menschenversuche berichtet auch Oberkriegsarzt Prof. Heinrich Kliewe, nach dem Krieg Direktor des Hygiene-Instituts der Universität Mainz. Es habe erfolgreiche Experimente mit Bakterien gegeben, die aus Flugzeugen auf Pflanzen gesprüht wurden. Auf humanmedizinischem Gebiet habe Blome bisher keine Versuche gemacht. Sie seien aber notwendig und er werde sie auch durchführen, wird Kliewe nach Aktenvermerken zitiert.

Menschenversuche geplant

Auch Reichsgesundheitsführer Dr. Leonardo Conti berichtet, dass ihm Blome einmal seine Absicht mitgeteilt habe, Versuche an Menschen zu machen. Er habe aber „nie erfahren, ob er mit Versuchen angefangen hat“.

Conti, der nach dem Krieg unter schwersten Depressionen leidet, nimmt sich im Oktober 1945 in amerikanischer Haft das Leben und entgeht so dem Nürnberger Ärzteprozess, bei dem führende NS-Mediziner – darunter auch Kurt Blome – auf der Anklagebank der Alliierten sitzen.

Dokumentiert ist der Plan, im Jahr 1942 35.000 an Tuberkulose erkrankte Polen zu vergasen – und dass Blome dagegen Einspruch einlegt. Das allerdings nicht, weil er Gewissensbisse hat, sondern weil er fürchtet, die Aktion nicht geheimhalten zu können. „Wenn die Garantie einer restlosen Geheimhaltung gegeben wäre, könnte man Bedenken zurückstellen“, schreibt er am 18. November 1942 an Gauleiter Arthur Greiser.

Blome, der 1943 offiziell zum Bevollmächtigen für Krebsforschung ernannt wird, ist zugleich Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft unter dem Titel „Blitzableiter“, die sich mit der Abwehr, aber auch dem möglichen Einsatz von biologischen Waffen beschäftigen soll. Dazu gehört auch die Forschungsarbeit in Nesselstedt.

Flucht vor der Roten Armee

Wie weit diese getrieben wurde, ist unbekannt. Denn wegen der heranrückenden Roten Armee muss Blome mit seinem Team die Region Posen im Januar 1945 verlassen. Auf Anweisung von Reichsinnenminister Heinrich Himmler soll er im thüringischen Geraberg neue Laboratorien zur Pestforschung aufbauen. Dazu hat Blome neben wichtigen Dokumenten und wissenschaftlichen Apparaturen auch Spezialbehälter mit Pestkulturen aus Nesselstedt mitgenommen.

Doch zu neuer Forschungsarbeit kommt es nicht mehr. Denn die Amerikaner besetzen im April 1945 Geraberg. Sie finden zwar einige Papiere, die auf die Forschungsarbeit hindeuten, die wichtigsten Dokumente hat Blome aber wohl vernichtet. Darunter womöglich auch Aufzeichnungen über Pestversuche an Menschen.

Blome hat sich da längst abgesetzt, wird am 17. Mai 1945 von den Amerikanern in München verhaftet. Nicht zuletzt US-Experten in Biologischer Kriegsführung sind an einer Befragung des Mediziners interessiert.

Eine Aufnahme von Kurt Blome während des Nürnberger Ärzteprozesss 1946. Der Schmiss an der rechten Wange erinnert an seine Mitgliedschaft in einer Burschenschaft.
Eine Aufnahme von Kurt Blome während des Nürnberger Ärzteprozesss 1946. Der Schmiss an der rechten Wange erinnert an seine Mitgliedschaft in einer Burschenschaft. © Holocaust Museum

Schließlich wird Blome im Nürnberger Ärzteprozess, der im Dezember 1946 beginnt, angeklagt – gemeinsam mit 19 weiteren Ärzten, einem Juristen und zwei Verwaltungsfachleuten, sogenannten „Schreibtischtätern“. Die Hauptvorwürfe: „Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen (insbesondere medizinische Menschenversuche), Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen.“

Das Verfahren vor dem 1. US-Militärgerichtshof dauert vom 9. Dezember 1946 bis 20. Juli 1947. Blome verteidigt sich mit Unterstützung seines Anwalts Dr. Fritz Sauter und seiner eigenen Frau Betina, die selbst Ärztin ist, zum großen Teil selbst. Er wirft in seinen Stellungnahmen immer wieder die Frage nach der Legitimität von Menschenversuchen auf – ohne allerdings zuzugeben, selbst welche unternommen zu haben.

Keine Belastungszeugen

Nicht zuletzt bringt die Verteidigung mit Hinweisen auf Menschenversuche unter Beteiligung der US-Armee die Ankläger in die Defensive. Zugunsten von Blome wirkt auch eine Eidesstattliche Erklärung von seinem Ex-Kollegen Heinrich Kliewe.

Und schließlich fehlt es auch an Belastungszeugen gegen Blome. Walter Paul Schreiber, der womöglich Einblicke in die Arbeit in Nesselstedt hatte, steht den Amerikanern nicht zur Verfügung, weil er zur Zeit des Ärzteprozesses unter sowjetischer Kontrolle ist. Trotzdem sollte Schreiber im späteren Leben von Blome noch eine Rolle spielen.

Ein Blick in den Saal beim Nürnberger Ärzteprozess gegen führende NS-Mediziner.
Ein Blick in den Saal beim Nürnberger Ärzteprozess gegen führende NS-Mediziner. © Holocaust Museum

Am 20. August 1947 werden die Urteile im Nürnberger Ärzteprozess verkündet: Sieben Angeklagte werden zum „Tod durch Strang“ verurteilt, zehn zu Haftstrafen zwischen zehn Jahren und lebenslang (wobei die Haft in allen Fällen tatsächlich nur wenige Jahre dauert). Sieben Angeklagte werden freigesprochen – darunter auch Kurt Blome.

Es sei zwar nicht auszuschließen, dass Blome zur Erforschung biologischer Kriegsführung Experimente an Menschen vorbereitet hatte, es gebe aber keine Beweise für die Durchführung, heißt es zur Begründung.

Blome ist nun ein freier Mann. Erst recht, nachdem er am 10. Juni 1948 von der Spruchkammer in Schwelm im Entnazifizierungsverfahren sogar offiziell als „entlastet“ eingestuft wird. Blome kehrt in die Stadt seiner Kindheit zurück und lässt sich in Dortmund als Facharzt für Dermatologie und Urologie nieder.

Allerdings zunächst nur für kurze Zeit.

Denn es tritt eine neue Wendung ein, die mit Blick auf das Urteil im Ärzteprozess für Spekulationen sorgt. Denn die Amerikaner versuchen, sich die Kenntnisse von Blome in Sachen biologische Kriegsführung zu Nutze zu machen. Der US-Geheimdienst hat ihn deshalb schon seit längerer Zeit im Visier.

Einsatz für US-Geheimdienst

Im März bieten die Amerikaner Blome an, im Rahmen der Operation Paperclip mitzuarbeiten, jenem Geheimprojekt, mit dem die USA nach Kriegsende deutsche Wissenschaftler und Techniker rekrutieren, um sich deren Wissen zu sichern.

Tatsächlich verpflichtet sich Blome am 10. August 1951, an einem amerikanischen Geheimdienstprogramm mitzuarbeiten, gibt dafür sogar seine Praxis in Dortmund auf.

Die Übersiedlung in die USA kommt allerdings nicht zustande. Und daran ist wiederum sein früherer Mediziner-Kollege in NS-Diensten Walter Paul Schreiber schuld. Ihn haben die Amerikaner nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft und Flucht nach West-Berlin über die Operation Paperclip in die USA geholt. Das Problem: Die New York Times berichtet über Schreiber und seine Vergangenheit in der NS-Zeit und sorgt damit für Aufsehen. Die Folge: Für Schreiber wird ein Exil in Argentinien organisiert. Zugleich schrecken die Amerikaner nun davor zurück, deutsche Mediziner mit ähnlicher Vergangenheit in die USA zu holen – so wie Blome.

Ihn beschäftigen die Amerikaner zum Trost als Arzt in einem Militärkrankenhaus im Camp King, dem Europakommando der US-Armee in Oberursel.

Rückkehr nach Dortmund

Das Engagement ist allerdings nur von kurzer Dauer. Spätestens 1953 ist Blome zurück in Dortmund. Denn hier kandidiert er in diesem Jahr für die Deutsche Partei im Wahlkreis Dortmund III für den Bundestag – allerdings ohne Erfolg. Blome bleibt damit seiner politischen Linie weitgehend treu. Denn die Deutsche Partei, die von 1949 bis 1960 sogar an der Bundesregierung beteiligt ist, ist nach dem Krieg ein Sammelbecken für eine Klientel, die von Nationalkonservativen bis Rechtsextremisten reicht.

Nachdem es mit der politischen Karriere nichts mehr wird, praktiziert Blome weiter als Arzt. Seine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten liegt in der Bornstraße 64. Als Wohnadresse ist anfangs die Winterfeldstraße 27 nahe des Westfalenparks verzeichnet, später die Hilgenstockstraße 6, ein eher bescheidenes Mietshaus. Hintergrund könnte sein, dass Blome mit seiner Familie zu der Zeit in Hagen heimisch ist und dort wohl auch zumindest die Wochenenden verbringt. 1956 ließ sich Blome von seiner Frau Betina scheiden. Später heiratet er erneut und wird auch noch einmal Vater.

Sein neues Leben in Dortmund und Hagen führt Blome wohl weitgehend unbehelligt. Zweimal droht ihn allerdings die NS-Vergangenheit einzuholen. Im März 1962 schickt die Leipziger Ärztin Hannelore Wolf Schreiben an die Staatsanwaltschaft und Zeitungen in Dortmund. Und sie veröffentlicht in einer Leipziger Zeitung gemeinsam mit rund 80 weiteren Leipziger Ärzten und Apothekern einen offenen Brief, der auf die Vergangenheit Blomes aufmerksam macht.

Darin heißt es: „Wir sind überzeugt, dass sich auch alle unsere westdeutschen Kollegen von diesem Verbrecher, der sich heute wieder als Arzt zu bezeichnen wagt, eindeutig distanzieren.“ Von einer Reaktion ist nichts bekannt – außer von der Staatsanwaltschaft. Sie eröffnet auf Grund der Vorwürfe von Hannelore Wolf unter dem Aktenzeichen 45 Js 9/62 ein Ermittlungsverfahren gegen Blome wegen Beihilfe zum Mord.

Strafverfahren eingestellt

Eine weitere Initiative startet ein Dortmunder: Ein gewisser Martin Kunz aus Wickede richtet am 24. Juni 1963 ein Schreiben in Sachen Blome an die in Dortmund ansässige Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Straftaten.

Kunz schreibt: „Obg. Arzt praktiziert in Dortmund unter obg. Adresse. Im Hinblick auf die grauenvolle Nazizeit und all das, was geschehen ist und durch diese Leute wie Blome unterstützt wurde und durchgeführt wurde usw. ist es eine Unfaßbarkeit, dass man heute derartige Personen unbestraft herumlaufen lässt. Ist man so gleichgültig geworden? Oder sind Gesetzgeber und Gesetze so braun angehaucht, dass es keine Handhabe gibt, diese Personen einer ordentlichen Verantwortung zuzuführen?“

Die Antwort der Staatsanwaltschaft ist ernüchternd. Sie teilt Kunz mit, dass das Verfahren 45 Js 9/62 eingestellt sei. Die Begründung: Die Vorwürfe gegen Blome seien bereits Gegenstand einer Untersuchung der amerikanischen Justizbehörden gewesen und durch ein amerikanisches Militärgericht entschieden worden. Der Freispruch im Nürnberger Ärzteprozess sollte für immer Bestand haben.

Blome stirbt am 10. Oktober 1969 in Dortmund. Sieben Tage später wird er im Grab seiner Eltern Adolf und Klara auf dem Hauptfriedhof beigesetzt.

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REPORTAGEPROJEKT DER DEUTSCHEN WELLE

  • Der Beitrag über Kurt Blome basiert auf gemeinsamen Recherchen der Ruhr Nachrichten mit der Deutschen Welle und den polnischen Online-Portalen „Interia“ und „Wirtualna Polska“.
  • Die Deutsche Welle hat vor dem Hintergrund des Überfalls von Deutschland auf Polen am 1. September 1939 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs in Kooperation mti den polnischen Partner-Portalen eine Reportage-Reihe unter dem Titel „Schuld ohne Sühne“ gestartet.
  • Für 20 Online-Reportagen haben Journalisten-Tandems aus Polen und Deutschland jeweils Familien von polnischen Kriegsopfern und Familien von deutschen Tätern besucht und deren Lebenswege nachgezeichnet. Die Beiträge erscheinen auf Polnisch und Deutsch.
  • Den ersten Beitrag der Reihe auf Deutsch lesen Sie hier: https://p.dw.com/p/3OYIV

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 6. Oktober 2019.