Zu arm oder zu viel Currywurst? Warum Sternerestaurants es in Dortmund schwer haben

Warum Dortmund (noch) kein Michelin-Hotspot ist
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Die Dortmunder Sternegastronomie hat definitiv schon bessere Zeiten erlebt. Zu Spitzenzeiten gab es im Stadtgebiet gleich vier Restaurants, die mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurden. Doch Krankheiten und Personalprobleme sorgten letztlich dafür, dass nur noch einer übrig blieb.

Oder gibt es gar weitere Umstände, die Dortmund für Spitzenköche unattraktiv machen? Immerhin ist Dortmund unter den zehn größten Städten Deutschlands. Trotzdem ist Gourmetküche spärlich gesät. Andere, deutlich kleinere Städte, sind da besser aufgestellt. Wir suchen mit Gastro-Experten und Gastronomen nach Gründen und blicken auf ein Auf und Ab der Sterneküche, das einer Achterbahnfahrt gleicht.

Vom Hotspot zum blinden Fleck

Auch in vergangenen Jahrzehnten sah es in Dortmund ziemlich mau aus. Das „La Table“ in der Spielbank Hohensyburg holte unter Koch Kurt Jäger 1988 den ersten Michelin-Stern nach Dortmund. 1998 dann die Sensation: Sein Nachfolger Thomas Bühner macht das Fine Dining Restaurant von 1999 bis 2006 sogar zum 2-Sterne-Restaurant. Dieser Rekord ist bis heute ungebrochen.

Thomas Bühner vom Restaurant "La Table" in Dortmund
Thomas Bühner erkochte dem "La Table" zwei Michelin-Sterne. Seit es das Restaurant nicht mehr gibt, hat es kein 2-Sterne-Restaurant mehr gegeben (Archivbild). © Michael Holz

Nach Informationen des Guide Michelin gab es in den letzten 25 Jahren nur vereinzelt Restaurants mit Michelin-Auszeichnung. Darunter die seit 2017 geschlossene „Dimberg Glocke“ (2001) und Mario Kalweits „Art Manger“ (2002-2004).

Darauf folgte ein Schwarzes Loch: Von 2007 bis 2013 gab es kein einziges Dortmunder Restaurant mit Michelin-Stern. Erst mit Michael Dyllong und dem 2014 ausgezeichneten „Palmgarden“, das Schwesterrestaurant zum „La Table“, endete die Pechsträhne. Seine Erfolgsgeschichte schreibt er mit dem „The Stage“ fort.

Andere Städte machen es besser

Es hat sie also gegeben und es gibt sie, die ganz großen Dortmunder Küchenchefs. Trotzdem: Die Stadt Dorsten hat mit Frank Rosin und Björn Freitag gleich zwei Spitzenköche, deren Restaurants mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurden (auch wenn Frank Rosin die Geschäftsführung inzwischen abgegeben hat).

Obwohl Dorsten etwa siebenmal so klein ist wie Dortmund, gilt die Stadt, insbesondere im Kreis Recklinghausen, als kleines Mekka für Genießer. Da kann Dortmund nicht mithalten. Auch in der etwa gleich großen Stadt Essen sind Feinschmecker besser dran.

Spitzenkoch Dirk Grammon in seinem Restaurant in Dortmund
Im Mai 2024 musste Dirk Grammon sein Restaurant wegen gesundheitlicher Probleme aufgeben. (Archivbild) © Grammon

In den letzten Jahren stieg Dortmund zwar zwischenzeitlich zu einem Gourmet-Hotspot auf - doch der große Fall kam schnell. 2022 gab es vier Sternerestaurants: „Der Schneider“, „Iuma“, „Grammons“ und „The Stage“. Das „Iuma“ in Kirchhörde schloss Ende April 2022, Phillip Schneider gab sein Restaurant im April 2023 überraschend wegen extremen Personalmangels und finanzieller Sorgen auf.

Im Mai vergangenen Jahres musste zudem Dirk Grammon aus gesundheitlichen Gründen schließen. Übrig ist also aktuell nur noch Michael Dyllongs „The Stage“ in Hombruch. Warum Dortmund sich so schwer tut, könnte verschiedene Gründe haben.

Zu viel Currywurst in Dortmund?

Hannes Buchner vom renommierten Ranking-Portal Restaurant-Ranglisten.de versucht sich an einer Erklärung. Das Ruhrgebiet sei grundsätzlich kein kulinarisch anspruchsvolles Gebiet, so der Gastro-Experte. Dortmunder hätten eine skeptische Haltung gegenüber teuren Lebensmitteln. „Wenn man mit Currywurst und Döner aufgewachsen ist, weiß man vermutlich mit Trüffel und Kaviar wenig anzufangen“, so seine Vermutung.

In Dortmund gebe es eine Hemmschwelle, entsprechendes Geld für gehobene Küche auszugeben. „Die Gesamtzahl der Gäste, die sich das leisten können und wollen, ist hier vielleicht geringer als in den südwestlicheren Regionen.“ In einer Grafik stellt Restaurant-Ranglisten.de dar, dass der Süden Deutschlands deutlich besser mit Sternegastronomie bestückt ist, als zum Beispiel Nordrhein-Westfalen.

Grafik über die Genussregionen in Deutschland
Die Grafik von Restaurant-Ranglisten.de zeigt, dass der Süden Deutschlands deutlich mehr für Feinschmecker bietet als zum Beispiel NRW. © Grafik: Restaurant-Ranglisten Quelle: Restaurant-Ranglisten.de Kartenmaterial: © GeoBasis-DE / BKG 2016Erstellt mit Datawrapper

Hat Buchner also recht? Pierre Beckerling aus dem Restaurant SchwarzGold auf Kokerei Hansa dürfte das anders sehen. Schließlich hat er sich die moderne Ruhrpott-Küche als gehobene Variante auf die Fahne geschrieben. Auf dem Menü steht unter anderem „Dortmunder Currywurst“, „Kirmes Blumenkohl“ und eine gemischte Tüte ohne Lakritz, wie man sie vom Kiosk um die Ecke kennt.

Das kommt offenbar auch bei Feinschmeckern gut an. Beckerling, der dem mittlerweile geschlossenen „Iuma“ 2021 einen Stern erkochte, gilt als heißer Anwärter für eine erneute Auszeichnung durch den Guide Michelin.

Grafik über die Genussregionen in Deutschland mit Zoom auf Dortmund
Der grüne Fleck links neben Dortmund ist Essen. Wie Düsseldorf und Köln gilt Essen laut dieser Grafik als „Spitzengruppe“. © Grafik: Restaurant-Ranglisten Quelle: Restaurant-Ranglisten.de Kartenmaterial: © GeoBasis-DE / BKG 2016Erstellt mit Datawrapper

Ausbeutung in der Gourmetküche

Dass Dortmund innerhalb kurzer Zeit mehrere Sternerestaurants verloren hat, hat seiner Meinung nach andere Gründe. Das liege nicht an zu wenig Gästen und auch nicht daran, dass Dortmund unattraktiv für Spitzenköche sei. „Die Leute sind bereit, Geld auszugeben“, sagt Beckerling. Außerdem sei Dortmund ein günstiger Standort, schließlich habe man mit dem gesamten Ruhrgebiet ein großes Einzugsgebiet.

Selbstkritisch sagt der Koch: „Die Gastronomie hat sich in den letzten Jahren selbst zerstört.“ Über Jahrzehnte habe man das Personal ausgebeutet, nun bekomme man die Quittung dafür. „Sterneküche ist eine zeitaufwendige Küche, dafür muss genug Personal vorhanden sein.“ Weil die Lohnbedingungen in der Vergangenheit schlecht gewesen seien, hätten sich viele Fachkräfte abgewandt, gerade nach der Corona-Pandemie.

Personalprobleme - dazu passt der Teufelskreis, den Hannes Buchner in einem weiteren Punkt beschreibt: „Wo gute Restaurants ansässig sind, eröffnen später die gut ausgebildeten jungen Köche gerne ihr eigenes Restaurant.“ Im Klartext: Wo wenig Sternerestaurants sind, werden weniger Spitzenköche ausgebildet - sie „vermehren“ sich nicht.

Buchner glaubt, dass Religion ein weiterer Faktor ist. „Katholische Regionen gelten gemeinhin eher als genussfreundlichere Gegenden als Evangelische.“ Der katholisch geprägte Süden Deutschlands stünde demnach besser da. Trotzdem denkt der Gastro-Experte, dass Dortmund Kapazitäten für zwei oder drei weitere Sterne-Restaurants hat, die habe es hier schließlich schon früher gegeben.

Dyllong: einsamer Stern am Firmament

Momentan ist Michael Dyllong also der einsame Stern am Dortmunder Gastro-Himmel. Ob er sich über sein Alleinstellungsmerkmal freut? „Nein, ich finde es schade, der einzige Sternekoch zu sein.“ Mehr Spitzenrestaurants würden schließlich mehr Touristen in die Stadt locken.

Dass Dortmund besonders unattraktiv für Sternegastronomie ist, glaubt der Koch nicht. Vielmehr sei das Problem bundesweit zu beobachten. Der Grund: die vielen Krisen und Herausforderungen in der Gastronomie - Personalmangel, gestiegene Löhne, hohe Energie- und Mietkosten, dazu die gestiegene Mehrwertsteuer.

Der Dortmunder Sternekoch Michael Dyllong bereitet eine Paella im Restaurant Vida zu.
Der Dortmunder Sternekoch Michael Dyllong bereitet eine Paella im Restaurant Vida zu. (Archivbild) © Stephan Schuetze

Letzteres habe Gastronomen „den Rest gegeben, gerade denen, die ein neues Unternehmen starten wollten und beim Businessplan machen gemerkt haben, wie die Preise explodiert sind.“

Ein Pärchen oder eine Familie überlege es sich inzwischen auch dreimal, ob es ins Sternerestaurant oder in den Urlaub geht. Eine Sterneküche ohne Sponsoren zu eröffnen, könne sich kaum noch ein Gastronom erlauben. Sponsoren können zum Beispiel Unternehmen wie gehobene Hotels sein, die das Sternerestaurant als Marketing-Tool für ihr Hotel nutzen, um zahlungskräftige Gäste anzulocken. Das Restaurant selbst müsse dann kein Geld erwirtschaften, erklärt Dyllong.

Beckerling: Der neue Sterne-Anwärter

Ein Vorteil, sagt auch Pierre Beckerling vom „SchwarzGold“. Er sagt: „Reich wird man als Sternekoch nicht.“ Die Produkte seien teuer, man stecke überdurchschnittlich viele Arbeitsstunden in den Tag, dazu die allgemein hohen Kosten für Gastronomen. „Wenn du am Ende des Jahres eine schwarze Zahl da stehen hast, kannst du überaus zufrieden sein.“

Spitzenkoch Pierre Beckerling im Restaurant "Iuma"
In Dortmund haben 2022 einige Restaurants dicht gemacht - darunter auch das "Iuma", in dem Sternekoch Pierre Beckerling gekocht hatte. © Stephan Schütze

Auch wenn Insider der Gastro-Szene schon den Stern über der Kokerei Hansa aufgehen sehen, ist Beckerling lieber nur vorsichtig optimistisch. „Gerade in den Anfangsmonaten hatten wir unsere Höhen und Tiefen. Jetzt haben wir uns eingegroovt und ein tolles Team aufgestellt.“ Am 31. März findet die Verleihung der Michelin-Sterne statt.

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So bewertet der Guide Michelin

Die Tester sind Festangestellte des Guide Michelin und ausgebildete Fachleute aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe mit mindestens fünf bis zehn Jahren Berufserfahrung. Sie kommen anonym, als normale, zahlende Gäste in die Restaurants. Rund 250 Lokale testet ein Michelin-Inspektor. Nach jedem Besuch schreibt er einen Bericht. Er richtet sich dabei nach fünf Kriterien: Qualität und Frische der Produkte, fachgerechte Zubereitung, Geschmack, persönliche Note der Küche, Preis-Leistungs-Verhältnis sowie eine immer gleichbleibende Qualität. Ambiente und Service fließen nicht in die Wertung ein.

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