Das tägliche Drama in Dortmunder Kitas „Das Land NRW verhält sich einfach nur schäbig“

Das tägliche Drama in Dortmunder Kitas: Acht Erkenntnisse zu dem, was sich jetzt ändern muss
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Ulrich Breulmann

Was sich in vielen Dortmunder Kitas tagtäglich abspielt, ist schlimm. Nicht, weil die Kitas schlechte Arbeit leisten. Nicht, weil Erzieherinnen und Erzieher unmotiviert oder unfähig wären. Das Drama lässt sich vielmehr an einem einzigen Punkt festmachen: Viel zu viele Eltern können sich in Dortmund – und mit Sicherheit nicht nur dort – nicht bedingungslos darauf verlassen, dass ihr Kind zu den vereinbarten Zeiten gut in der Kita betreut wird.

Wer nach den Gründen sucht, könnte verzweifeln, denn: In den Kitas verweben sich die Ursachen für das Desaster zu einem kaum noch zu entwirrenden Knäuel ineinander verflochtener Problem-Fäden. Hier die acht wichtigsten Erkenntnisse aus unserer Umfrage und unserer Kita-Serie zu dem, was sich dringend ändern muss.

Kinder spielen auf einem Spielgerät im Freigelände einer Kindertagesstätte 
Eine gut ausgestattete Kita mit bester Personalausstattung, das sollte für unsere Gesellschaft höchste Priorität haben. © picture alliance/dpa

1. Verabredete Betreuungszeiten müssen eingehalten werden, immer

Zu viele Tage mit geschlossenen Gruppen und verkürzten Öffnungszeiten sind für berufstätige Väter und Mütter unerträglich. Schon die planbaren Urlaubs-, Brücken-, Fortbildungs- und Betriebsausflugs-Tage stellen Eltern vor große Herausforderungen. Ohne Oma und Opa läuft da vielfach nichts.

Wenn Personalengpässe hinzukommen, Gruppen geschlossen und Betreuungszeiten gekürzt werden, wird es brenzlig. Da helfen auch die den Eltern zustehenden Tage zur Kinderbetreuung nur begrenzt. Die werden meist schon benötigt, um bei den Kindern zu bleiben, wenn die krank sind – und das kommt im Kita-Alter regelmäßig vor. Und wenn es so weit ist, sollten sie ihre kranken Kinder tatsächlich zu Hause behalten - sonst verschärfen sie selbst das Personalproblem, weil kranke Kinder andere anstecken. Auch Erzieherinnen.

Selbst die von Kita-Leitungen gerne als „milde Variante“ verkaufte Kürzung der Öffnungszeit um ein paar Stunden ist für berufstätige Eltern kaum verkraftbar. Was nutzt eine Betreuung bis 14 Uhr, wenn ich bis 16.30 Uhr arbeiten muss?

Damit ist klar: Mit den Eltern vereinbarte Betreuungszeiten müssen eingehalten werden. Grundsätzlich und immer.

2. Der Bedarf der Eltern ist der Maßstab

Das Betreuungsangebot der Kitas muss sich am Bedarf der Eltern ausrichten. Und zwar am Bedarf aller Eltern, auch jenen, die etwa im Schichtdienst oder anderweitig flexibel arbeiten. Die Öffnungszeiten unserer Kitas gehen vielfach noch davon aus, dass die Eltern maximal von 7 bis 16 Uhr nicht verfügbar sind.

Oft wirkt im Hintergrund – auch wenn sich niemand mehr traut, das offen zu sagen – noch immer das Familienbild längst vergangener Zeiten: Die Frau oder der Mann – in der Regel die Frau – bleibt zu Hause, wenn ein Kind da ist. Das ist realitätsfremd. An Alleinerziehende wird dabei schon gar nicht gedacht.

Im Übrigen: Wieso schließen viele Kitas in den Sommerferien für drei Wochen komplett? Das muss nicht sein. Die bessere Lösung: Wenn in den Ferien ohnehin weniger Kinder in die Kita kommen, wird die Belegschaft in zwei Gruppen geteilt: Die erste hat in der ersten Hälfte Urlaub, die zweite Gruppe in der zweiten. Warum ist das nicht längst verpflichtend?

3. Die Wirtschaft könnte helfen, im eigenen Interesse

Ausweitung der Betreuungszeiten, weniger Schließungs- und Kürzungstage, all das setzt mehr Personal voraus. Wie mehr Personal wirken kann, haben wir am Beispiel der Kita Lumiland in unserer Serie vorgestellt. RWE und Westenergie finanzieren für diese Kita vier zusätzliche Halbtagsstellen.

Arbeitgeber, die sich zu Recht ärgern, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen Personalengpässen in der Kita ausfallen, sollten sich überlegen, ob sie nicht im eigenen Interesse an einer solchen Lösung für dieses Problem mitwirken sollten.

4. Azubis und Kooperationen

In NRW gibt es exakte Vorschriften, wie viele Menschen mit welcher Qualifikation in einer Kita-Gruppe mindestens anwesend sein müssen, um die Betreuungssicherheit zu gewährleisteten. Das ist gut und richtig so, aber: Viele Kita-Träger sehen sich außerstande, mehr als diesen Mindest-Standard zu finanzieren. Damit ist das Personal-Korsett so eng geschnürt, dass es im Falle eines unvorhergesehenen Personalausfalls sehr schnell kritisch wird und das Betreuungsangebot eingeschränkt werden muss.

Das darf nicht sein. Deshalb muss die verpflichtende Personalausstattung in Kitas so angehoben werden, dass Personalengpässe ohne Kürzungen zu verkraften sind. Ein Schritt in diese Richtung wäre es schon, wenn alle Kita-Azubis grundsätzlich nicht mehr auf die Stellenbesetzung angerechnet, sondern obendrauf kommen würden. In den Fabido-Kitas ist das der Fall. Das sollte überall zur Regel werden. Zudem: Für absolute Notfälle sollten auch Aushilfs-Lösungen über Kita- und Träger-Grenzen hinweg verpflichtend werden.

5. Personalgewinnung hängt auch an den Arbeitsbedingungen

Um genügend Personal einsetzen zu können, muss es genügend Menschen geben, die diesen Job machen wollen. Im Moment stellt das die Träger vor eine kaum zu lösende Aufgabe, denn: Auf Ausschreibungen gibt es oft nicht eine einzige Bewerbung.

Die Gewinnung und Qualifizierung von gutem Personal muss daher höchste Priorität haben. Dabei gilt: Wer die Zahl und die Qualität der Kita-Plätze erhöhen will, muss sich nicht nur um gut ausgestattete Räume kümmern, sondern mehr noch um exzellentes und ausreichendes Personal. Dabei werden auch die Arbeitsbedingungen zum entscheidenden Faktor. Pädagogische Fachkräfte können sich ihre Stelle aussuchen. Dabei spielt es für sie schon eine Rolle, ob die Personalausstattung so eng geschnürt ist, dass die Erzieherinnen nur mit hängender Zunge die Betreuung sicherstellen können, oder ob sie sich wirklich intensiv um die pädagogische Arbeit kümmern können.

6. Die Sache mit dem Bildungsauftrag

Vor Jahrzehnten ließ sich das Konzept vieler Kindergärten mit drei S-Wörtern umschreiben: satt, sauber und sicher verwahrt. Das ist zum Glück längst vorbei.

Kitas haben heute einen hohen pädagogischen Anspruch. Zumindest in der Theorie. Im Kinderbildungsgesetz von NRW steht: „Das pädagogische Personal in den Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflegepersonen haben den Bildungs- und Erziehungsauftrag im regelmäßigen Dialog mit den Eltern durchzuführen und deren erzieherische Entscheidungen zu achten.“

Um diesen Bildungs- und Erziehungsauftrag umzusetzen, braucht es mehr Personal als die Mindestbesetzung. Wer etwas anderes sagt, kann sich auch nicht im Ansatz vorstellen, wie das heißt, zu zweit mit 15, 20 oder gar 25 Jungen und Mädchen im Kita-Alter einen Tag zu verbringen.

7. Das Finanzgebaren des Landes NRW ist schäbig

Wer eine verlässlichere und bessere Betreuung unserer Kinder erwartet, muss mehr Geld ausgeben. Viel mehr Geld. Es ist skandalös, wie das Land an dieser Stelle verfährt. NRW erhöht zwar die an die Träger ausgezahlten Pauschalen zum 1. August 2025 um 9,49 Prozent, aber: Damit werden lediglich die Kostensteigerungen ausgeglichen, die bereits im vergangenen Jahr angefallen sind.

Die Folge: Seit 2024 und bis zum August dieses Jahres reichen die alten Pauschalen nicht für eine auskömmliche Bewirtschaftung der Kitas. Dabei sind seit dem Beschluss zur 9,49-Prozent-Erhöhung die Kosten durch Preiserhöhungen und absehbare Tariferhöhungen noch weiter gestiegen. Die Pauschalen hätten längst angepasst werden müssen und die nächste Anpassung wäre schon jetzt fällig. NRW lässt die Kitas hängen. Das ist schäbig.

Da lobe ich mir – ich sag’s nicht gerne – die Bayern. Dort wird die Pauschale vorab nach dem geschätzten Mehrbedarf erhöht, und wenn der endgültig feststeht, wird scharf abgerechnet. Warum nicht so auch in NRW?

8. Die Gesellschaft muss andere Prioritäten setzen

Am Ende aller Überlegungen steht die Grundsatzfrage: Setzt unsere Gesellschaft im Bereich Erziehung und Bildung die richtigen Prioritäten? Unter Bildungsforschern herrscht Einigkeit: In keinem Abschnitt seines Lebens lernt ein Mensch so viel und so schnell wie in den ersten sechs Lebensjahren. Was in diesen Jahren versäumt wird, lässt sich später nur mit größter Mühe und unendlich größerem Aufwand nachholen – wenn überhaupt.

Da kann man schon die Frage stellen, warum steckt unsere Gesellschaft nicht mehr Geld in diese entscheidende Lebensphase? Und warum werden noch immer Kita-Eltern zur Kasse gebeten, wenn doch zugleich Studenten kostenlos die Uni besuchen dürfen? Als wäre der Kita-Besuch ein verzichtbarer Luxus, den weder Kinder noch Eltern unbedingt brauchen. Und für Luxus muss man eben selbst zahlen! Was für ein Unfug! Kitas leisten entscheidende Bildungsarbeit, und wo sie das nicht tun (können), muss sich das ändern. Und es ist erste Pflicht des Staates, genau das sicherzustellen.

Deutschlands Rohstoffe stecken nicht in der Erde, sondern in den Köpfen seiner Menschen. Deshalb muss die Förderung von Bildung vom ersten Lebenstag eines Babys bis zum Studium mit größter Energie, den besten Erzieherinnen, Lehrern, Professorinnen und Professoren, den optimal ausgestatteten Räumen und den besten Materialien an oberster Stelle stehen. Wer hier spart, wird das irgendwann bitter bereuen.

Alle erschienenen Teile unserer Serie „Der große Kita-Check“ finden Sie hier: rn.de/kita-check

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