Seinen Spitznamen gab ihm seine Mutter schon mit der Geburt: „Der Bubi ist da“, sagt sie am 12. April 1954. Bubi Leuthold, dieser Name sollte die Gastronomie an der Stadtgrenze zwischen Dortmund und Castrop-Rauxel prägen – auch wenn einer das wohl gar nicht gerne hört: Bubi Leuthold.
Sein einziger Wunsch für diesen Artikel: „Machen Sie ihn bitte nicht zu pompös.“ Denn in der Öffentlichkeit stand der heute 70-Jährige, der eigentlich Franz-Josef heißt, noch nie besonders gerne. Inzwischen tritt er aufgrund einer unheilbaren Blutkrebs-Erkrankung zwar gezwungenermaßen kürzer, doch ganz von der Gastronomie lassen, das kann er nicht. Über 30 Jahre lang führte Bubi das „Tante Amanda“ in Westerfilde, seit 2002 organisiert er „Castrop kocht über“ und viele Jahre auch „Ab ins Zelt!“ in der Adventszeit.
Auf fast allen alten Fotos trägt er eine weiße Kochjacke und lange Locken – viel mehr wie ein Koch auszusehen, geht kaum. Dabei hat der Autodidakt nie eine klassische Kochausbildung gemacht. Wie es so weit kam? „Ganz abenteuerlich alles“, erzählt Bubi Leuthold.
Vom Internat in die Kneipenszene
Mit drei Generationen und vier Kindern lebte die Familie Leuthold in Dorf Rauxel. Das Kochen lernt Bubi schon früh von seiner Mutter und seiner Großmutter. „Sie haben immer gut und lecker gekocht.“ Doch seine Mutter stirbt jung und die Familie bricht auseinander. Bubi bleibt nicht bei seinem Vater, einem Anwalt, sondern bei Onkel und Oma in Dorf Rauxel, besucht das ASG. Später schickt ihn sein Vater aufs Internat, erst nach Starnberg, dann nach Marburg.
Als 18-Jähriger kommt Bubi zurück in die Heimat und arbeitet für seinen Onkel, der in der Dortmunder Hansastraße das Kult-Modegeschäft Black and White führt. „Wir hatten damals schon Dior und Thierry Mugler“, erinnert sich Bubi, der als „Mädchen für alles“ einspringt. Sein Onkel meldet ihn währenddessen beim Abendgymnasium an und Bubi macht sein Abitur nach. Notenschnitt 2,14. Er möchte Medizin studieren, doch landet im Losverfahren.
Dass sein Los nicht gezogen wurde, ist ein Glücksfall. „Ich bin froh, dass es nicht geklappt hat“, sagt Bubi heute. Während er damals noch aufs große Los wartet, ist Bubi regelmäßig Gast im Ambrosius in der Castroper Altstadt. So regelmäßig, dass er irgendwann, als Not am Mann war, gefragt wird, ob er nicht die Thekenseite wechseln könne.
Schnell arbeitet Bubi zwei bis drei Abende pro Woche im Ambrosius, das von Volker Kastrup geführt wurde, der gleich über der Kneipe wohnte und mit dem Bubi bis heute befreundet ist: „Kasi hat damals die Kneipenszene umgewandelt.“

Und dieser Wandel geht weiter: Volker Kastrup übernimmt den Alten Markt und die Thier Brauerei. Dem damals 28-jährigen Bubi macht er das Angebot, die Kneipe gemeinsam zu übernehmen. Im Februar 1982 eröffnet das Miljöh. Am Wochenende standen die Gäste in drei Reihen vor der Theke. „Wilde Partys, lange Nächte, die immer mit dem Rausschmeißer-Song ‚I was born under a wandering star‘ von Lee Marvin endeten“, erinnert sich Barbara Bohnekamp, die samstags auch im Miljöh arbeitete. Die Menschen kommen auch aus Herne oder Bochum, um am Wochenende in die Castroper Kneipenszene einzutauchen.
In der „Weißen Brust“ flogen Pfannen
Doch im Miljöh ist damals auch unter der Woche viel los. Im Herbst 1982 eröffnet unweit das Goldschmieding, wo auf Sterne-Niveau gekocht wird – für Bubi der nächste Glücksfall: Jeden Abend ab 23 Uhr kommen die Köche nach ihrem Feierabend zu ihm in die Kneipe. „Bubi saß dann auch mal vor der Theke und ich mir hinten mein Bier selbst gezapft“, erinnert sich Aldo Segat, der damals im Service des Goldschmiedings arbeitete.
Mit vielen der Köche ist Bubi noch heute befreundet, und von ihnen lernt er viel übers Kochen. Ab 1985 bietet er im Miljöh auch einen Mittagstisch an. Zusammen mit einer Mittagsköchin kocht er pro Tag 50 bis 70 Portionen: „Die Bauarbeiter vom Hertie-Umbau haben uns den Laden vollgemacht.“

Zwei Jahre später, 1987, ist dann Schluss an der Wittener Straße, wo heute das Café Antik sein Zuhause hat. „Der Laden war fünf Jahre lang voll und es ging immer bis in die frühen Morgenstunden. Es war grandios und ich bereue nicht eine Minute.“ Trotzdem entscheidet sich Bubi dagegen, dauerhaft von 18 bis 3 Uhr zu arbeiten – und für „Die weiße Brust“ in Recklinghausen, sein erstes Restaurant.
Dieses Kapitel ist das am wenigsten erfolgreichste in der heute langen Vita des Gastronomen. „Es lief nicht optimal“, sagt der 70-Jährige. Das Niveau in der Küche war zunächst hoch, doch musste mit Blick auf die hohen Kosten langsam heruntergefahren werden. Doch auch hier lernt Bubi weiter von ausgebildeten Köchen. Mit vier Menschen auf engem Raum und der Zeit im Nacken, ist der Ton rau: „Da flogen auch mal Pfannen und es wurde geschrien, doch hinterher gab es ein Feierabendbier und alles war vergessen.“
1992 eröffnet das Tante Amanda
1991, Bubi wohnt damals in Bodelschwingh, macht ihn sein Bruder auf „Tante Amanda“ aufmerksam. „Es stand leer, aber sah schnuckelig aus“, erinnert Bubi sich. Das 1931 erbaute Bauernhaus hat eine lange gastronomische Geschichte.
Schon im Krieg hatten hier die Bauersfrauen Spaziergängern Milch und Kuchen verkauft, um die Haushaltskasse aufzubessern. Später wurde er ein beliebter Ausflugsort. Auch der eigenwillige Name bürgerte sich schon früh ein. „Die erste Gaststätte hieß eigentlich Bauernschänke, trotzdem sagten die Leute: ‚Wir gehen zu Amanda‘. Das war der Name der Inhaberin“, erklärt Bubi.

Als er sich die Gaststätte das erste Mal ansieht, ist „alles uralt“, die Küche eine normale Haushaltsküche und die Urinrinne verbreitet ihren Geruch im ganzen Haus. Bubi sagt ab.
Doch zwei Monate später bekommt er einen Anruf, dass die Toilette erneuert worden sei und er nochmal vorbeischauen solle. „Die haben die Urinrinne nur gefliest“, sagt Bubi und lacht: „Aber der Geruch war weg.“ Dieses Mal sagt Bubi zu. Anfang 1992 eröffnet das „Tante Amanda“. Zwei Jahre lang führt der Gastronom auch noch „Die weiße Brust“ weiter, dann gibt es das Restaurant in Recklinghausen ab.
Immer gutbürgerlich
Im Dortmunder Westen läuft es derweil bestens, zumindest im Biergarten: „Auf diesem Gebiet waren wir richtige Pioniere. In Süddeutschland ist der Selbstbedienungsbiergarten gang und gäbe, hier in der Gegend waren wir die Ersten“, berichtet Bubi. An gleich drei Ausschankstationen holen sie die Ausflügler ihre Stärkung.
Bis seine Schwester ihn drängt, endlich auch Pommes zu verkaufen, gibt es im Biergarten nur Selbstgemachtes. Dann kauft Bubi zwei „Ami-Fritteusen“: „Die hatte sonst nur McDonalds und sie haben ein Schweinegeld gekostet.“ Und trotzdem zahlen sie sich aus. „Alles richtig gemacht“, sagt Bubi.

Das Restaurant hat hingegen Startprobleme. „Manchmal saßen wir hier abends um 20 Uhr und niemand kam. Dann haben wir einfach abgeschlossen“, erinnert sich Bubi: „Das Wasser hat mir einige Mal bis hier gestanden“, sagt er und hebt die flache Hand bis über den lockigen Kopf. „Aber ich habe mich immer irgendwie rausgewurschtelt.“ Der Gastronom beweist Hartnäckigkeit und langsam läuft seine gutbürgerliche Küche mit Gerichten wie Sauerbraten, Tafelspitz und Rouladen an, während es draußen weiter Pommes und Currywurst gibt.
Nach fünf Jahren kauft Bubi das „Tante Amanda“, das heute voll und ganz ihm gehört. „Es war viel zu teuer, aber das war es mir wert“, sagt er. 2005 folgt ausgehend von der zu klein gewordenen Küche eine Komplettrenovierung. Neu ist auch das angebaute Tafelhaus. Heute arbeiten 22 Menschen im „Tante Amanda“, viele davon seit vielen Jahren. Darauf ist Bubi besonders stolz.
Ab ins Zelt, Geierabend und Spiegelzelt
Doch Bubi ist schon immer mehr als nur die Summe seiner Gastronomien. 1999 brachte er den Geierabend zu „Tante Amanda“ und zwei Jahre später das Adventszelt auf den Castroper Marktplatz. „Am Anfang war es ein einfaches Zelt ohne Boden“, erinnert sich der Gastronom: „Am schönsten war es aber mit Reiterbrunnen im Zelt, Holzboden und Teppich und Stoff an den Wänden – trocken und warm wie im Wohnzimmer.“
Das Zelt kam gleich gut an, doch es fehlte zunächst eine „zündende Idee“, wie Bubi später einmal sagen würde. Diese Idee kam 1993 von City-Manager Peter Breuer: der satirische Adventskalender. „Dabei haben uns alle für verrückt gehalten, als wir die Idee präsentiert haben. Kaum jemand hat geglaubt, dass wir vom 1. bis 23. Dezember jeden Abend einen anderen Überraschungsgast auf die Bühne bekommen“, so Breuer.
20 Jahre später wissen es alle besser. „Johann König, Thorsten Sträter, Lisa Feller – sie waren alle hier im Zelt, sind alle jetzt im Fernsehen“, sagte Bubi bei seiner offiziellen Verabschiedung Anfang Dezember im Adventsdorf.

Fragt man Peter Breuer heute nach Bubi, erinnert er sich gerne an die „freundschaftliche“ Zusammenarbeit: „Bubi stellt sich selbst nicht gerne in den Vordergrund, sondern überzeugt durch Qualität, egal ob bei Tante Amanda oder bei Ab ins Zelt!“ Beide kennen sich schon viele Jahrzehnte und Breuer, heute Geschäftsführer der Forum GmbH, sagt: „Er ist ein ruhiger, gelassener, sachlicher Mensch, der sich über Kunst freut.“ Und: „Bubi ist keiner, der sich versteckt.“
Nicht nur in der Castrop-Rauxeler Kultur hinterließ der 70-Jährige seine Spuren. „Gleichzeitig habe ich im Sommer noch das Spiegelzelt in Dortmund gemacht.“ In den Sommermonaten übernimmt „Tante Amanda“ das Catering bei RuhrHOCHdeutsch. Die Idee für das Programm kam Horst Hanke-Lindemann laut Bubi übrigens als Gast im winterlichen Adventszelt. Doch das Spiegelzelt war nicht Bubis einziges Sommer-Highlight.
„Ckü ist undenkbar ohne Bubi“
Elf Jahre, nachdem das Schlemmerfestival Castrop kocht über 1991 von der Werbegemeinschaft Castroper Altstadt (WCA) aus der Taufe gehoben wurde, übernahm der damals 48-jährige Gastronom 2002 den Vorsitz – und hat ihn bis heute. „Castrop kocht über ist undenkbar ohne Bubi Leuthold. Er ist der Macher, an dem alles hängt“, sagte einst der DJ und Moderator Charly Plücker.
Unter Bubi entwickelt sich Ckü zum inoffiziellen Stadtfest, bei dem Unterhaltung und Gastro-Genuss immer mehr verwachsen. „Das kann man gar nicht mehr voneinander trennen“, sagt Bubi, der auch schwere Phasen mit dem Festival durchmachte, wie 2004, als Ckü wegen Lautstärke-Klagen von Anwohnern vom Altstadt-Markt in den Erin Park umziehen musste und ordentlich Miese machte. „Wahrscheinlich ist die Veranstaltung so nicht mehr finanzierbar“, sagte Bubi später. Doch Ckü kam zurück – nicht nur wirtschaftlich, sondern schnell auch wieder auf den Marktplatz.

Heute ist „Castrop kocht über“ größer denn je. Und Bubi sagt: „Solange ich’s machen kann, mache ich’s auch.“ Die Veranstaltung sei inzwischen eine im besten Sinne eingefahrene Kiste, die er zusammen mit Leon Phillip vom Haus Hölter gerne weiterführt – auch wenn es bei den körperlich anstrengenden Vorbereitungen auf dem Marktplatz schonmal kürzertreten muss. Während andere in der Sonne schwitzen, muss Bubi sich mit einer Daunenjacke warmhalten. Der 70-Jährige ist schnell außer Atem.
Arbeit die beste Ablenkung
Anfang 2019 ist bei Bubi Blutkrebs diagnostiziert worden. Als er damals mit Rückenschmerzen zum Arzt geht, stellt sich heraus, dass der Krebs einen Wirbel zerfressen hat. Es folgen Chemotherapie und die Behandlung der Stammzellen. Der Prozess ist kompliziert, aber nach rund einem Jahr abgeschlossen. „Und dann kam Corona“, sagt Bubi und kann über die Ironie schon lange wieder lachen.
Dreieinhalb Jahre später werden die Werte wieder schlechter. Noch vor dem Besuch im Krankenhaus geht Bubi, dem bei der ersten Stammzellentransplantation die Haare auffielen, zum Friseur und lässt sich eine Glatze schneiden: „Ich wollte besonders schlau sein.“ Nur um dann vom Arzt zu erfahren, dass ihm bei der diesmal empfohlenen Antigentherapie die Haare nicht ausfallen. Bubi muss lachen. „Ich gehe mir der Krankheit ganz offen und locker um“, sagt er. Auch an einer Forschungsstudie nimmt er teil.

Die beste Ablenkung ist für Bubi, weiter aktiv zu bleiben. Wie oft er noch bei „Tante Amanda“ ist? „Immer, ich bin jeden Tag hier, wenn auch oft nur zwei Stunden“, sagt er. Er grübelt über neuen Gerichten und Speisekarten, kümmert sich um den Einkauf und macht all das, was ihm über all die Jahre schon so viel gegeben hat: „Ich hatte pro Jahr vielleicht zwei Tage, an denen ich mich morgens nicht auf die Arbeit gefreut habe.“
Alles bleibt in der Familie
Das operative Geschäft gibt Bubi inzwischen langsam an seine Kinder Madeline und Pascal ab, die sowohl das „Tante Amanda“ in Westerfilde als auch das 1910 am Castroper Marktplatz gemeinsam führen. Dass beide ebenfalls in der Gastronomie gelandet sind, freut ihn, auch wenn er sie nicht in die Richtung gelenkt habe.
Auch die Ausbildung im väterlichen Betrieb gab es nicht. Stattdessen lernten beide in einer Spitzengastronomie in Süddeutschland, bei einem der Köche aus dem Goldschmieding, der auch ihrem Vater einst die ersten Kniffe zeigte.

Für einen Menschen ist Bubi übrigens auch in all den Jahren immer Franz-Josef gewesen: für seine Frau. „Sie hat immer zu mir gestanden“, sagt Bubi. Schon ganz am Anfang im Miljöh half sie nachts mit.
Die Mathe- und Chemie-Lehrerin kümmerte sich später neben ihrem eigenen Beruf um die beiden Kinder und war auch viel im „Tante Amanda“. An Heiligabend wird Franz-Josef, der sonst privat nie kocht, für sie in der Küche stehen: „Es gibt Fondue, das hat sie sich gewünscht. Und vorweg gibt es Fisch.“
Hinweis: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 22.12.2024.