Amazon kündigt Betriebsrat fristlos Skandal oder Pflichtverletzung des Mitarbeiters?

Amazon kündigt Betriebsrat fristlos: Skandal oder Pflichtverletzung?
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Die Kündigung kam zum Wochenende: Der langjährige Betriebsratsvorsitzende des Amazon Logistikzentrums an der Brackeler Straße, Osman Özkan, ist fristlos entlassen worden. Es steht der Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs im Raum. Die Gewerkschaft Verdi spricht von einem „Betriebsratsskandal im Amazon-Lager“, der Versandhändler von „schwerwiegenden Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten“.

„Ich war insgesamt sieben Jahre bei Amazon, davon war ich vier Jahre Betriebsratsvorsitzender“, sagt Osman Özkan auf Nachfrage unserer Redaktion. Die Betriebsratsarbeit habe den Großteil seiner Beschäftigung ausgemacht, denn auch nach dem Verlust des Vorsitzes war er weiter Betriebsratsmitglied. Dann wurde ihm fristlos gekündigt - unter Mitwirkung des Gremiums, dessen Mitglied er war.

Nach Darstellung der Gewerkschaft Verdi hatte Amazon erstmals in den Sommerferien den Versuch unternommen, ihn „aufgrund des Vorwurfs des Arbeitszeitbetrugs zu entlassen“. Da Betriebsräte unter dem besonderen Schutz des Gesetzes stehen, muss der Betriebsrat einem solchen Ansinnen zustimmen. Das tat er nicht, sondern er lehnte die Entlassung mehrheitlich ab.

Deswegen versuchte Amazon, die Erlaubnis vor dem Arbeitsgericht durch ein sogenanntes Zustimmungsersetzungsverfahren zu erlangen. Diese Anhörung fand am 15. August statt, eine Hauptverhandlung wurde für November angesetzt.

Betriebsrat für Entlassung

Verdi behauptet, dass Osman Özkan sich während dieser gerichtlichen Auseinandersetzung das Recht erstritten habe, seine Arbeit als Betriebsrat fortzusetzen. „Es steht der ernsthafte Vorwurf im Raum, dass hier Betriebsratsarbeit behindert wird. Herr Özkan hatte das unbestrittene Recht, seine Tätigkeit fortzusetzen“, sagt Philip Keens, zuständiger Gewerkschaftssekretär von Verdi.

Ein Amazon-Sprecher betont hingegen: „Der Mitarbeitende konnte durchgehend und ordnungsgemäß seiner Ausschuss- und Gremiumsarbeit als Betriebsrat nachgehen.“

Dann kam es zu einer bemerkenswerten, Verdi sagt: zu einer „besorgniserregenden Wendung“: Die Frage der Kündigung wurde Ende August erneut in den Betriebsrat eingebracht - und dieses Mal entschied sich das Gremium mehrheitlich dafür.

„Zu diesem Zeitpunkt waren viele gewerkschaftsnahe Betriebsratsmitglieder abwesend, was die Mehrheitsverhältnisse entscheidend veränderte. Es besteht der Verdacht, dass Amazon versucht, auf Betriebsräte Einfluss zu nehmen. Diese Entwicklungen sind tief beunruhigend“, so Keens.

Das Amazon-Logistikzentrum an der Brackeler Straße in der Dortmunder Nordstadt
Das Amazon-Logistikzentrum an der Brackeler Straße in der Dortmunder Nordstadt © Stephan Schütze

Ein Amazon-Sprecher sieht keinen Anlass zur Beunruhigung: „Wir respektieren alle Beschäftigten und verpflichten uns, alle fair und gleich zu behandeln, unabhängig von der Position“, sagt er. Aber: „Wir müssen in allen Einzelfällen reagieren, falls schwerwiegende Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten vorliegen, die wir auch bei keinem anderen Mitarbeitenden tolerieren könnten.“ Und der Betriebsrat habe ja - wie gesetzlich vorgeschrieben - einer Kündigung zugestimmt.

Drei Monate kein Arbeitslosengeld

Dies hat allerdings laut Verdi zur Folge, dass Osman Özkan fristlos entlassen wird. Um Betriebsräte außerordentlich kündigen zu können, ist ein wichtiger Grund die Voraussetzung. Das aber hat zur Folge, dass der Betriebsrat voraussichtlich eine Sperre vom Arbeitsamt bekommen würde. Das heißt: drei Monate lang kein Arbeitslosengeld.

„Ich gehe davon aus, dass ich es schwierig haben werde, einen neuen Job zu bekommen. Mein Engagement bei Amazon sowie die mediale Berichterstattung über meine Arbeit als Betriebsrat werden die Jobsuche nicht gerade erleichtern“, erklärt der 46-Jährige auf Nachfrage. „Trotzdem werde ich mich weiterhin für meine Kolleginnen und Kollegen einsetzen.“

Und er ergänzt: „Egal welche Schritte Amazon gegen mich unternimmt - ich werde weiterkämpfen.“ Das für November geplante Gerichtsverfahren ist nach der Zustimmung des Betriebsrats hinfällig. Osman Özkan kann allerdings Kündigungsschutzklage erheben, dann würde zunächst ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht folgen.

Verdi kritisiert Teile des Betriebsrats

Dabei würde auch überprüft werden, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung vorgelegen hat. In diesem Fall könnte öffentlich erörtert und vom Gericht überprüft werden, wie schwerwiegend ein etwaiger Arbeitszeitbetrug denn gewesen ist. Unter diesen Tatbestand fällt zum Beispiel das falsche Ein- und Ausstempeln oder ähnliche Täuschungsmanöver bei der Zeiterfassung.

Die Gewerkschaft Verdi spricht in ihrer Pressemitteilung davon, dass der Vorfall „ernste Fragen zur Rolle von Betriebsräten und zur Unternehmenskultur bei Amazon aufwirft“. Die Kündigung habe zu erheblichen Bedenken unter den Beschäftigten geführt - „besonders besorgniserregend ist das Verhalten eines Teils des Betriebsrats, das tiefgreifende Fragen zur Integrität der betrieblichen Mitbestimmung“ zur Folge habe.

Amazon: „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit Betriebsräten

Das sieht der Amazon-Sprecher anders: „Betriebsräte gibt es an den deutschen Amazon-Standorten seit mehr als 20 Jahren und eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den hunderten von gewählten Betriebsräten ist uns wichtig.“ Der Betriebsrat in Dortmund wurde 2018 gegründet.

Osman Özkan sagt: „Ich habe bereits zu Beginn meiner Zeit bei Amazon festgestellt, dass bei Amazon eine starke Hierarchie herrscht. Mich hat der Umgang mit den Kollegen und Kolleginnen von Anfang an gestört. Dass ich aufgrund meines Engagements nun in das Fadenkreuz von Amazon geraten bin, sagt mir, ich hatte mit meiner Einschätzung recht!“

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