Mit der Cinderella-Story vom Überraschungs-Europameister Dänemark bei der EM in Schweden 1992 konnte der nachnominierte Emre Can vor einigen Tagen nichts anfangen. In der launigen Presserunde im Camp der deutschen Nationalmannschaft war es um die Parallelen zu seiner besonderen Geschichte gegangen. Wie die Dänen kam Can unverhofft zum EM-Turnier, direkt aus dem Urlaub, ohne Training.
Goretzka-Geste bei der letzten EM
Gut, der Dortmunder Mittelfeldspieler, ist erst zwei Jahre nach dem Dänen-Triumph geboren worden. Ganz bestimmt hat Can aber schon mal vom „Wunder von Bern“ gehört, die fußballerische Auferstehung Deutschlands im Jahr 1954 nach zermürbenden Kriegsjahren – und der Beginn der Rückkehr des deutschen Fußballs in die Weltspitze.
Mit Duellen gegen die Ungarn wird dieses ganz frühe Sommermärchen immer verknüpft bleiben. Noch frisch im Gedächtnis ist auch eine wichtige Episode geblieben, die sich fast taggenau vor drei Jahren beim wegen der Corona-Pandemie verlegten EM-Turnier 2020 in München zutrug: Leon Goretzkas Herz-Symbol in Richtung der „Carpathian Brigade“, einer extrem radikalen ungarischen Fan-Gruppierung, die im Münchner Stadion homophobe Banner ausgebreitet hatte.
Eine spontane Aktion des Torschützen zum späten 2:2, mit der sich Goretzka damals viel Respekt erwarb. Die UEFA hatte vor der Partie untersagt, dass die Arena in Regenbogenfarben leuchten durfte. Damit wollten München als Gastgeber und der deutsche Fußball ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt setzen, nachdem in Ungarn zuvor ein Gesetz verabschiedet worden war, in dem Darstellung von Homosexualität zum Beispiel in Schulbüchern verboten worden war.
Ausgangslage eindeutig
Ob politische Botschaften auch am Mittwoch im nächsten Duell mit den Ungarn (18 Uhr, ARD) im Mittelpunkt stehen, darf bezweifelt werden, auch wenn die ungarische „Carpathian Brigade“ wieder im Stuttgarter Stadion vertreten sein dürfte. Der Sport soll im Mittelpunkt stehen, mit höchst unterschiedlichen Ausgangspositionen nach dem ersten Spieltag.

Für Julian Nagelsmanns Team ist die Ausgangslage eindeutig. Bei einem Sieg wäre Deutschland sicher fürs Achtelfinale qualifiziert, die Ungarn hingegen kämpfen nach ihrem 1:3-Fehlstart gegen die Schweiz um ihre Restchance auf die K.o.-Runde. Mindestens ein Unentschieden ist Pflicht.
Auftaktsieg nimmt Druck vom DFB-Team
Deutschlands beeindruckende Leistung beim 5:1 gegen die Schotten ist im Team recht nüchtern analysiert worden. Wichtig für die Begeisterung im Land, wichtig auch für den weiteren Gruppenverlauf mit den Partien am Mittwoch und am Sonntag gegen die Schweiz, weil der Auftaktsieg anders als bei den vorherigen Turnieren ein wenig vom Druck genommen und weiteres Selbstvertrauen aufgebaut hat.
Aber auch nur „ein erster Schritt für ein gutes Fundament“, wie der Bundestrainer nach dem Schotten-Spiel sogleich erklärte. Seine Botschaft: Mit den Schotten sind die Ungarn nicht zu vergleichen, ihre Spielstärke ist ungleich höher. Nagelsmann: „Sie sind ein eingespielter Haufen, jahrelang schon so zusammen, mit sehr vielen Freigeistern, die überall auf dem Feld herumwuseln.“
Wetteinsatz von Papa Orban
Angeführt vom Ex-Leipziger Dominik Szoboszlai und fünf aktuell in der Bundesliga beschäftigten Profis wartet ein Gegner auf die deutsche Mannschaft, von dem man deutlich mehr Gegenwehr erwarten kann. Auf spielerischer wie kämpferischer Ebene. Wie schwer sie zu bespielen sind, zeigten die letzten Duelle in der Nations League vor 18 Monaten (0:1, 1:1).
Im deutschen Camp lief die Vorbereitung am Dienstag nach gewohntem Muster ab. Vormittags konnte Nagelsmann beim Abschlusstraining alle 26 Kaderspieler begrüßen. Änderungen in der Startelf sind nicht zu erwarten, die, die in München überzeugten, haben sich das Vertrauen verdient.
Nette Anekdote am Rande: in Leipzigs Willi Orban spielt ein Abwehr-Routinier im ungarischen Team, der in Deutschland geboren wurde und bis zur U21 für den DFB spielte. Orbans Vater Vilmos hat vor dem Turnierstart in einem Wettbüro 3000 Forint auf einen Finaleinzug der Mgyaren gesetzt – allzu wahrscheinlich ist ein Erfolg aktuell nicht. Der Verlust des Wetteinsatzes wäre zu verschmerzen. Es handelt sich um rund sieben Euro.
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