Borussia Dortmund muss im Sommer keinen neuen Trainer suchen – eine unaufgeregte Nachricht. Die Bosse haben sich inzwischen positioniert. Es sei weiter „das klare Ziel“ mit Niko Kovac weiterzuarbeiten, hat Sport-Geschäftsführer Lars Ricken gesagt. Klubchef Hans-Joachim Watzke meint sogar, der Coach habe „Außergewöhnliches“ geleistet und man wäre „völlig bescheuert“, wenn es nicht mit am 2. Februar inthronisierten Fußballlehrer weitergehen solle.
Was der BVB von Kovac erwarten darf
Bestärkt werden die Entscheider der Schwarzgelben vom Frühjahrsaufschwung unter dem neuen Chef an der Seitenlinie. In der Kovac-Tabelle seit dem 21. Spieltag liegt Borussia Dortmund auf Rang vier (19 Punkte, 24:15 Tore in elf Spielen), in der Formtabelle der vergangenen fünf Partien ist man sogar Zweiter, punktgleich mit dem FC Bayern München. Die Richtung stimmt also.
Kovac selbst hat vorige Woche im Interview mit den Ruhr Nachrichten betont, dass er von Beginn an von einem Engagement über den Sommer hinaus ausgegangen ist. „Jeder muss den anderen auch erst kennenlernen“, er wolle „mittel- und gerne auch langfristig“ sehr gute Arbeit abliefern. Borussia Dortmunds Anhang kann sich also auf Kovac-Fußball beim BVB einstellen. Was die Fans erwarten dürfen – und was nicht.
Defensive Stabilität: Kovac baut als erfahrener Fußball-Fachmann (481 Erstliga-Partien als Spieler und 181 als Trainer) das Fundament zuerst. Ohne einen kompakten Abwehrblock könne man nicht erfolgreich Fußball spielen, hat er betont. Sein Ziel ist es, die Anzahl der Gegentore in der Bundesliga durchschnittlich auf eins pro Spiel zu drücken (aktuell 1,36). Wettbewerbsübergreifend lag die Quote im April bei 2,0 – für den Trainer ein klares Indiz, wo der Hebel anzusetzen ist. Weniger Gegentore zu kassieren, erhöht die Chancen auf Siege.

Leistungskultur und Konkurrenzkampf: Das Thema Leistungskultur hatten sich beim BVB schon viele Trainer und Verantwortliche auf die Fahnen geschrieben. In seinen ersten Dortmunder Wochen zieht der neue Trainer seine Prinzipien knallhart durch. Wer gut spielt, wird wieder aufgestellt. Wer im Training nicht mitzieht, sitzt draußen. Indem er keine Rücksicht auf Namen oder Meriten nimmt, hat sich der Coach Respekt verschafft. „Ohne dieses Leistungsprinzip kannst du nicht erfolgreich sein“, sagt Kovac. Der verstärkte Konkurrenzkampf hilft dabei, Druck auf jeden einzelnen Spieler aufzubauen. Denn im Vergleich zum Herbst und Winter, als teilweise die halbe Mannschaft fehlte, muss der BVB derzeit nur wenige verletzungsbedingte Ausfälle verkraften.
Laufstärke und Intensität: Knapp 124 Kilometer haben die Borussen am vergangenen Samstag in Hoffenheim unter die Stollen genommen – selten hat eine BVB-Elf so einen hohen Wert erreicht. Aktuell sind die Dortmunder sogar das fleißigste Team der Liga. Kovac grinst, als er darauf angesprochen wird: „Meine Mannschaften gehörten immer zu den laufstärksten.“ Ohne Laufsport kein Ballsport – so einfach lautet die Kovac-Regel. Um die Intensität hochzuhalten, den Gegner in allen Spielphasen zu stressen, benötigt es maximalen Einsatz. Darauf fußen alle weiteren Ableitungen des Deutsch-Kroaten. Das ist kraftraubend – aber gerade für eine Gruppe wie die wankelmütigen Dortmunder ein pragmatisches Rezept: Wenn die Schwarzgelben beim Engagement mit dem Gegner mithalten, wird in der Regel die höhere individuelle Qualität den Ausschlag geben und damit Punkte bringen. Nicht ohne Grund legt Kovac also großen Wert auf Fitness, angefangen von einer mehr als soliden Grundlagenausdauer bei seinen physisch möglichst starken Athleten.
Disziplin und Ordnung: Klare Regeln, an die sich jeder halten kann und die Orientierung verschaffen, sind Kovac wichtig. Das gilt bei ihm für alle Bereiche der gemeinsamen Arbeit. „Anarchie in der Kabine“ werde zu „Anarchie auf dem Platz“, sagte er im RN-Interview. Undisziplinierte Zustände und permanente Regelbrüche, die in Dortmund nicht selten der Fall waren, soll es nicht mehr geben. Lachen ist keineswegs verboten, aber jeder Einzelne sollte mit dem nötigen Ernst bei der Sache sein, wenn es darum geht, den Job bestmöglich auszuüben. Der Erfolg der Gruppe steht dabei über dem Interesse jedes Einzelnen. Nicht zuletzt haben Kovacs Mannschaften den Ruf, sehr gut organisiert zu sein und entsprechend schwer zu bespielen.
Offensive mit Absicherung: Gleich sieben Feldspieler mit primär defensiver Ausrichtung schickte der BVB am Samstag in Hoffenheim zu Spielbeginn aufs Feld. Unter manchen seiner Vorgänger wäre das ein Unding gewesen, in manchen Zeiten der Anstoß für eine aufgeregte Trainerdiskussion unter den Fans und im Umfeld. Kovac dreht das Prinzip um: Man muss es sich leisten können, anzugreifen, weil man um die Absicherung weiß. Eine stabile Restverteidigung gehörte nicht zu den Dortmunder Kernkompetenzen in den vergangenen Jahren. Das soll sich unter Kovac ändern. Sein Spielansatz ist mit der kompakten Defensive, einer guten Struktur in der Offensive und dem steten Willen zu hohem Gegenpressing keinesfalls abwartend oder passiv. Er verschiebt nur die Prioritäten. Sicherheit hilft auf Dauer mehr als punktuelles Spektakel.
Innovationen und Taktik-Experimente: Asymmetrische Flügel, abkippende Sechser, Aufbau über den Dritten: Viele Fußballlehrer vernebeln mit taktischem Fachvokabular den Blick auf das, was auf dem Feld letztlich tatsächlich zu sehen ist. Kovac schließt Weiterentwicklungen nicht aus, will das grundsätzlich einfache Fußballspiel aber nicht verkomplizieren. Er halte die Dinge „lieber einfach“, sagt er. Damit steige auch die Wahrscheinlichkeit, dass alle Spieler auf demselben Stand seien und ihre Aufgaben erledigten. Wer das Einfache sehr gut erledige, sei bereits auf der Siegerstraße. Auch hier zeigt sich: Kovac ist Pragmatiker. Ein weiterer Beleg: Er lässt die Spieler auf ihren bevorzugten Positionen agieren.
Sprüche und Schlagzeilen: Bis zu sechs Pressekonferenzen pro Woche, dazu Interviews am Spielfeldrand: Ein Trainer im Profifußball muss kommunikativ geschult sein. Kovac spricht klar und deutlich, ohne Ausfälle, Übertreibungen oder unnötige Schnörkel. Manche Sätze kommen Zuhörern vorgestanzt und oft gehört vor. Doch das nimmt der 53-Jährige gerne in Kauf, und es färbt nicht negativ ab, weil seine grundsätzliche Ausstrahlung und sein Auftreten positiv-sympathisch rüberkommen.
Langzeit-Projekt: 1,43 Jahre beträgt die durchschnittliche Amtszeit von Kovac. Das ist nicht besonders lang, aber im heutigen Fußball auf Topniveau auch keine ungewöhnlich kurze Abnutzungszeit. So könnte der hohe Einsatz, den der Coach fordert, zum Bruch mit der Mannschaft führen. Bei seinen vergangenen Stationen beim VfL Wolfsburg und der AS Monaco konnte er das hohe Niveau der ersten Monate unter anderem auch deswegen nicht halten, weil wichtige Spieler den Klub verließen (Felix Nmecha, Micky van de Ven, Aurelien Tchouameni), ohne die Erwartungshaltung zu reduzieren. Am längsten hat Kovac bisher Eintracht Frankfurt trainiert, etwas mehr als zwei Jahre waren es am Ende. Ein Langzeit-Projekt ist Kovac zuletzt nicht gewesen. Aber er kann mithelfen das zu erreichen, was Sportchef Ricken vorgibt: „Wir wollen und müssen eine Leistungskultur schaffen. Intensität, Aggressivität, Tempo, Siegermentalität.“ Darauf hinzuwirken, das können die Fans vom aktuellen Trainer erwarten.