Kai (41) und Lisa (36) Brandt haben gemeinsam mit Erhan Dogan zum 13. März einen neuen, ambulanten Pflegedienst in Bergkamen gestartet. Die Pflege von Menschen steht im Mittelpunkt ihrer Arbeit.
Besonders für Kai Brandt ist dieser Schritt ein bedeutender Neuanfang. Ursprünglich arbeitete er 15 Jahre lang in der Logistik, war sogar Teamleiter. Doch das Leben der Brandts wurde auf den Kopf gestellt, als ihr Sohn Oscar (9) geboren wurde.
Seltener Gendefekt mit autistischen Zügen
Der 9-jährige Oscar leidet an einem seltenen Gendefekt mit autistischen Zügen, dem FOXP1-Syndrom. Was für andere Eltern normal scheint, ist für die Familie aus Unna eine Herausforderung: Arztbesuche, alltägliche Erledigungen oder einfach ein gemeinsamer Familienausflug – all das muss genau geplant oder oft ganz vermieden werden. Für Oscar hat Familienvater Kai Brandt sogar seinen Beruf gewechselt: vom Logistiker zum Pfleger.
Oscars Erkrankung beeinträchtigt seine Selbstständigkeit stark. Deshalb wurde er in den vierten Pflegegrad eingestuft und braucht intensive Betreuung. Doch das war nicht seit der Geburt klar. „Am Anfang war alles normal. Oscar war ein liebes Baby, er hat gut geschlafen und war sehr ruhig“, erzählt Lisa Brandt.
Für das erste Jahr nach Oscars Geburt blieb Kai Brandt in Elternzeit zu Hause. Kurze Zeit später wurde ihre Tochter Emma (8) geboren. Mit der Zeit haben die Brandts immer deutlichere Unterschiede zwischen beiden Kindern bemerkt. „Emma hat sich viel schneller entwickelt. Da haben wir uns natürlich schon gefragt, warum Oscar beispielsweise immer noch nicht laufen konnte“, erzählt Lisa Brandt.

Sie suchten Rat im Sozialpädiatrischen Zentrum Königsborn (SPZ) in Unna. Ab diesem Moment begann für die Familie eine Odyssee durch Arztpraxen und Kliniken. Erst nach zahlreichen Untersuchungen, darunter auch in Dortmund und Hamm, stand die Diagnose fest: FOXP1-Syndrom. Eine Krankheit, die ihr Kind ein Leben lang begleiten wird.
Herausforderungen bei Arztterminen
Die Krankheit äußert sich nicht nur in seiner verzögerten Entwicklung, sondern auch in vielen weiteren Herausforderungen. „Besonders am Anfang hat Oscar viel gesabbert. Dafür mussten wir mehrmals mit ihm zu einem Chirotherapeuten in Dortmund, der ihn wieder eingerenkt hat. Am nächsten Tag war das Sabbern weg“, sagt Lisa Brandt.
Oft können Kai und Lisa Brandt nicht mal alle Arzttermine mit Oscar wahrnehmen. „Oscar ist eher ein Grobmotoriker. Besonders in neuen Umgebungen ist Ausnahmezustand. Er fängt an, Sachen herumzuwerfen, schmeißt Stühle um oder tritt gegen Dinge. So können wir nicht lange im Wartezimmer sitzen. Wir brauchen Ärzte, die dafür Verständnis haben und uns direkt drannehmen“, erklärt Kai Brandt.
Zu viele neue Reize führen bei Oscar zu einer Reizüberflutung. Das mache ihn unruhig und ungehalten. So konnten die Brandts mit Oscar beispielsweise bislang nicht zu einem Augenarzt gehen. „Je größer er wird, desto stärker wird Oscar auch. Da wird es wirklich schwierig ihn noch festzuhalten im Wartezimmer“, erklärt Kai Brandt. Selbst Blutabnahmen müssen unter Vollnarkose erfolgen.

Unverständnis in der engsten Familie
Auch innerhalb der Familie stoßen sie oft auf Unverständnis. „Wenn es gut läuft, können wir eine Stunde bei einer Familiengeburtstagsfeier sein. Aber danach müssen wir meistens abbrechen. Für viele ist das dann auch einfach mit Stress verbunden“, erzählen die Brandts.
Alltägliche Dinge, die für andere Familien selbstverständlich sind, sind für sie kaum möglich. „Wir waren noch nie gemeinsam als Familie Eis essen. Entweder Lisa geht mit Emma oder wir holen Eis und essen es zu Hause“, erzählt Kai.
Entspannte Urlaube sind momentan nur mit Einschränkungen möglich – nur in Ferienhäusern mit umzäunten Grundstücken. Seit anderthalb Jahren seien die Brandts bei ihren Urlauben mutig. „Fliegen können wir zwar nicht, aber wir waren das erste Mal in einem Ferienhaus in Heiligenhafen“, erzählen Kai und Lisa Brandt stolz. „Wenn dann aber in dem Ferienhaus ein nicht abschließbares Tor ist, müssen wir kreativ werden. Da haben wir bei unserem letzten Urlaub das Tor mit einem blauen Müllsack zugeknüpft“, erzählt Kai lachend.
Auch bei den Brandts zu Hause sind die Türen durchgehend verschlossen. Zu groß ist die Gefahr, dass Oscar einfach herausgeht und ihm was passieren könnte.
Von der Logistik zur Pflege
Kai und Lisa Brandt pflegen ihren Sohn durchgehend allein. Lisa ging nach ihrer Schulzeit direkt in den Pflegeberuf und übt diesen seitdem aus. Eines Tages schlug sie ihrem Mann vor, sich die Pflege einmal anzuschauen. „Sie meinte, ich kümmere mich so gut um unseren Sohn, dass das beruflich zu mir passen würde“, sagt Kai. Für ihn war der Beruf lange Zeit mit Vorurteilen behaftet. Um Lisa aber zufriedenzustellen, arbeitete er in einer ihrer früheren Einrichtungen zur Probe. „Nach drei Stunden wusste ich: Das ist das, was ich machen will“, erzählt er. Er kündigte bei seinem damaligen Arbeitgeber und stieg beruflich in die Pflege ein.
Heute bereut er nichts daran. „Es war die beste Entscheidung. Ich hätte das schon vor Jahren machen sollen. Man kriegt so viel Positives wieder zurück von den Menschen, gerade von Älteren“, schwärmt er.
Oscars Pflege hat ihn vieles für seinen Beruf gelehrt: „Ruhe und Gelassenheit“, sagt er. „Mich kann nichts mehr aus der Ruhe bringen. Ich nehme Menschen so, wie sie sind. Das habe ich durch Oscar gelernt.“

Förderschule und Entwicklungen
Oscar besucht eine Förderschule für geistige Entwicklung in Holzwickede. „Seitdem macht er große Fortschritte“, berichten die Eltern stolz. Dabei haben alle Kinder der Schule einen individuellen Lehrplan.
Morgens gebe es einen Morgenkreis, bei dem auch die Anwesenheit geprüft wird. Neben Mathe und Deutsch steht beispielsweise auch eine Spielstunde auf dem Plan. Besonders eine Entwicklung berührt die Eltern zutiefst: „Seit kurzem sagt er: 'Papa, komm mal kurz'. Das ist so süß“, sagt Kai und imitiert Oscars Geste, sichtlich gerührt.
Neben Job und Pflege bleibt für Kai und Lisa kaum Zeit für sich selbst. „Eigentlich dürfen wir gar nicht krank werden“, sagen sie. Mit einem Hauch von Erschöpfung. Seit Kurzem unterstützt ein Betreuungsdienst aus Lünen einmal pro Woche. „Es ist natürlich schwer, loszulassen. Aber gerade sind wir in einer Testphase, sodass wir auch mal gemeinsam mit Emma einkaufen gehen können“, so die Brandts.
Wunsch nach mehr Vereinen
Für Oscar gibt es keine Heilung. Doch die Brandts nehmen das Leben Tag für Tag. Beruflich haben Kai und Lisa Brandt ihren Weg gefunden – mit dem ambulanten Pflegedienst in Bergkamen.
Aber für das private Leben haben sie noch einige Wünsche offen – insbesondere, wenn sie an Oscar denken: „Mehr Vereine und Angebote für Kinder mit Beeinträchtigungen. Oscar liebt es, zu tanzen und sich zur Musik zu bewegen. Aber in der Umgebung findet man nichts. Das müsste es viel mehr geben, damit Oscar auch mal mit Gleichgesinnten Zeit verbringt.“