Die Leiterin der Erziehungsberatungsstelle, Andrea Brinkmann, ist selbst einmal sitzengeblieben. Sie weiß deshalb aus Erfahrung, dass das späteren Erfolg im Leben nicht notwendigerweise verhindert. © Marcel Drawe (Archiv)
An diesem Freitag bekommen die Schüler ihre Zeugnisse. Für die, die sitzenbleiben, bricht oft eine Welt zusammen. Das muss nicht sein, meint eine Expertin. Sie weiß sehr genau, wovon sie spricht.
Andrea Brinkmann hat am Donnerstagnachmittag am Telefon Kinder und Jugendliche beraten, die das Schuljahr wiederholen müssen. Dabei schöpfte sie durchaus aus eigener Erfahrung: „Ich bin in meiner Schulzeit einmal sitzen geblieben und habe die Versetzung einmal nur durch die Nachprüfung geschafft.“ Aus Andrea Brinkmann ist trotzdem etwas geworden.
Andrea Brinkmann, ihre Kollegin Silvia Brand und ihre Kollege Joachim Ronge stehen Schülern und Eltern mit Schulproblemen mit Rat zur Seite. © Stefan Milk (Archiv)
Sie leitet seit vielen Jahren die Erziehungsberatungsstelle der Städte Bergkamen und Kamen. Und in dieser Funktion rät sie Schülerinnen, Schülern und deren Eltern, sich die Ferienfreude und den familiäre Frieden von einem schlechten Zeugnis nicht verderben zu lassen. Sitzenbleiben sei nicht schön, meint die Expertin, aber auch nicht unbedingt die Katastrophe, als die viele Mütter und Väter (und manche Schüler) es empfinden.
Schon gar nicht in Zeiten wie diesen: „Die Spuren, die Corona bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen hat, sind längst noch nicht alle bewältigt“, sagt Brinkmann. „Das sollten die Eltern berücksichtigen.“
Brinkmann rät grundsätzlich zu einem relativ gelassenen Umgang mit dem Thema Sitzenbleiben. Sie beruft sich dabei auf eine Studie, die belege, dass viele Klassenwiederholer im späteren Leben durchaus erfolgreich sind und es dabei einen kausalen Zusammenhang gibt: „Sie habe gelernt, mit Scheitern umzugehen“, fasst Brinkmann das Ergebnis zusammen.
Aber der Haussegen hängt oft schon schief, wenn sich im Zeugnis nicht nur Einsen und Zweien wiederfinden. Die Beratungsstelle schaltet deshalb am letzten Schultag vor den Sommerferien an diesem Freitag wieder ihr Zeugnis-Telefon, ein ähnliches Angebot gibt es von der Bezirksregierung Arnsberg (siehe Info-Kasten).
Brinkmann fürchtet allerdings, dass viele, die unter den Noten leiden, gar nicht anrufen. Der Notendruck auf die Schüler sei in der jüngeren Vergangenheit massiv gestiegen, hat die Beraterin festgestellt, die seit 30 Jahren im Beruf ist.
Von Seiten der Eltern, aber auch, weil viele junge Leute sich selbst unter massiven Druck setzen. Als typisches Beispiel nennt sie eine 18-jährige Gymnasiastin, der sie geraten habe, beim Lernen vor dem Abitur auch mal eine Pause zu machen. „Das kann ich mir nicht leisten“, habe die junge Frau geantwortet.
Ein schlechtes Zeugnis verdirbt manchen Familien die gesamten Ferien. © picture alliance/dpa
Woher der Glaube vieler Schüler und Eltern kommt, im Zeugnis zählten nur „Sehr gut“ und (wenn überhaupt) „Gut“, kann sich Brinkmann nicht so recht erklären. An der Arbeitsmarktlage könne das eigentlich nicht liegen: In Zeiten von Fachkräftemangel und unbesetzten Ausbildungsplätzen sollte es für Absolventinnen und Absolventen nicht so schwer sein, etwas zu finden, meint Brinkmann. Allerdings weiß sie, dass Arbeitgeber oft völlig überzogene Anforderungen an die schulische Qualifikation potenzieller Berufsanfänger stellen.
Eltern sollten nicht ausschließlich über die schlechten Noten ihrer Kinder sprechen, sondern auch deren Fähigkeiten herausstellen, damit der Nachwuchs Selbstwertgefühl entwickeln kann: „Man soll auf den Käse gucken und nicht auf die Löcher“, zitiert Brinkmann ein geflügeltes Wort.
Ein schlechtes Zeugnis verdirbt manchen Familien die gesamten Ferien. © picture alliance/dpa
Natürlich dürften Eltern schulische Probleme ihrer Kinder nicht komplett ignorieren. Aber sie dürfen sie auch nicht die gesamte schulfreie Zeit damit konfrontieren, meint Brinkmann: „Darüber kann man reden, wenn die Ferien zu Ende gehen.“ Nachhilfe könne ebenfalls ein Thema sein – auch in den Sommerferien. Aber die Eltern müssten ihren Kinder schon ermöglichen, sich von der Schule zu erholen: „Vier freie Wochen sollten es schon sein.“
1967 in Ostwestfalen geboren und dort aufgewachsen. Nach Abstechern nach Schwaben, in den Harz und nach Sachsen im Ruhrgebiet gelandet. Erst Redakteur in Kamen, jetzt in Bergkamen. Fühlt sich in beiden Städten wohl.